Blutrot geht die Sonne am indischen Winter-Donnerstag fünf Tage vor Weihnachten, am 19.12.1996 auf. Sie scheint in ein reiches, weißes Marmorzimmer. Das Frühstück im Ashram wärmt mit Rührei, "spicy chappatis" und heißem Kaffee die kalten, nackten Arme, die aus der roten Robe ragen.
Nach der dynamischen Meditation um 6.00 Uhr in der Früh, liefert das Buddha-Auditorium die Morgen-Lecture ab 8.00 Uhr. Es folgt das
Tages-Progamm. 6.00 a.m. Dynamic Für 50 Rps., etwa 2,2 Mark Eintrittsgeld bietet der Ashram volles Programm. |
Gott der Postkarte: Bhakt Hanumanji |
Als empfindsamen Pedanten verletzt es mein Gerechtigkeitsgefühl, wenn ich erstmals im Leben beim Briefmarkenverkauf dem Ashram Provision zahlen soll: Die indische Post verlangt 6 Rps für die Luftpostkarte in die kalte Heimat, der Ashram einen Rupee Provision. Wenn die Sannyasins so weiter machen, verlangen Sie bald für die Toilettenbenutzung Geld, lästert die innere Stimme.
Wehmütig rührt die Erinnerung, dass einst "Bhagwans Rupie" der Eintrittppreis in "Poona I" war. 16 Jahre sind seitdem vergangen. Das Geschäft steigerte den Eintritt um 500 Prozent, abzüglich der Geldentwertung. Vor 16 Jahren bekamst Du noch weniger Rupees für die Mark. Ob es drei, vier oder mehr waren, weiß der Fachmann. Der Laie wunderst sich.
Zurück zur Ashram-Post: Soll der Service dafür sorgen,
dass kein diebischer Briefkasten-Leerer die Briefmarke klaut? Oder will die Post-Stelle mitlesen wie die in
Rajneeshpuram?
Gut dass meine Freundin, Briefträgerchen daheim, Ma Veet Mimansa,
nicht weiß, wie ich im Ashram von ihren indischen Kollegen denke! Gefühle, intensiver als Gedanken, die auch schon verrückt machen, und ebenso schnell vorbeigehen - zum Glück. Dann nämlich, als der "Accomodation-Desk" keine Provision für die Zimmervermittlung verlangt. Das Angebot dieser Ashram-Zimmer-Vermittlung klingt verlockend: - Pop Heights II, C18: 4000 bis 12. Febr. Sw. Justin - beautiful terrace
see at the flat Bei der Vermittlung triffst Du Günther. Er verspricht, seinen 2500 Rps Raum aufzugeben, weil er spätestens Samstag nach Goa fahren will. Der Saison-Zuschlag für den sonst 19 Mark teuren Sleeper-Bus beträgt 4 Mark. Keine große Summe für eine lange Nachtfahrt, doch Preissteigerungen schmerzen immer und überall. |
Reich hinter Gittern -MitOlympus-Appartment |
Günther aus Flensburg ist unzuverlässig. Menschen mit psychischen Problemen können niemals Zusagen machen. Also nehme ich in Eile den teuren Raum von einem Swami Suviro aus Oldenburg für 16000 Rupees. Dafür genieße ich ein eigenes Badezimmer mit warmer und kalter Dusche.
Selbst wenn es nicht gelingt, das
Apartment am Ende weiter zu vermieten, zahle ich etwa 20 Mark/Nacht, wenn es mir gelingt, bis zum Abflug hier
zu bleiben - noch 35 Tage. Ich weiß schon jetzt, dass es Tage zwischen Himmel und Hölle werden.
Poona eben. Indien.
Günther besuche ich. Er leidet in Liebeskummer.
Ich spreche ihm Trost zu:
"Lass es Dir richtig gut schlecht gehen."
Karten nach Deutschland
zu den Brüdern würzen mit weiteren Weisheiten mein schöpferisches Wohlbefinden:
"Glückseligkeit
lässt sich sogar für einen 'Thomas' lernen."
Ich liebe diesen
meinen Namen, weil er sich mit biblischem Renommee versehen lässt:
"Thomas, einfach Thomas, wie der Ungläubige."
Den Gruß an die Kollegen in der
Redaktion, meiner Arbeitsstelle, halte ich knapp und sachlich:
"Bei so vielen Göttern wird vielleicht schon was Passendes dabei sein."
Der Spruch soll zur Karte
passen, auf der sich die Gottheit Hanuman mit Schwein-, Affen-, Mensch- und Und-so-weiter-Gesicht ziert.
Warum nicht mehr weiterfahren? Ganz einfach: es kommt nicht darauf an, was zu sehen, sondern wie zu sehen.
Eintrittskarte Gandhi-Museum Poona |
Die Namen in der neuen Wohnung
kann ich mir zwar aufschreiben, doch anfangs kaum die asiatisch, braunen Gesichter dazu Dir merken: Die Anschrift
meines stolzen, neuen Domizils lautet: |
Dieser Millionär wohnt hinter dem Ashram-Backgate. Mein Vormieter Sw. Suviro aus Oldenburg kann mir aus seiner langjährigen Poona-Erfahrung noch manchen guten Tip geben. Bei Fragen hinterlasse ich einfach einen Kassiber an seinem Schließfach im Ashram. Dafür muss ich mir den Ort des Faches und dessen Nummer notieren: Naropa N1310.
Chandra, die Putzhilfe, zeigt Einsatz: Sie wäscht meine Socken. Ma Sudarshan, die Mit-Hausbewohnerin, gegenüber wohnt wie nicht weit entfernt von Swami Suviro auch in der Nähe von Varel. Sie hat Ma Vimal Prem, meine Freundin von 1985-bis zum 19. Januar 1990 schon gekannt, als sie noch Ute hieß. Muss auch schon etwa 15 Jahre her sein. Ma Sudarshan nahm Sannyas im Februar 1980, also in Poona-I. Ich grabe nach den Spuren alter Freundinnen von vor 10 Jahren.
Eine Pass-Kopie muss ich noch für den Einzug in mein Apartment machen. Später meint Sw. Suviro, dass ich auch eine Kopie mit dem Visa-Stempel vorlegen muß. Noch später verzichtet Mrs. Sharma, die Hausbesitzerin, auf diese Formalität.
Sw. Suviro gibt die wichtigen Auskünfte während der Morgen-Lecture über Kabir in der silent Area vor der Buddha-Halle im Flüsterton. Zwei Stühle weiter neben Sw. Suviro sitzt Günther, bei dem ich zuvor versuchte, seine Mietnachfolge anzutreten: "Wann fährst Du endlich nach Goa?" "Weiß ich noch nicht."
Du triffst Dich im Ashram ständig wie automatisch, weil die Veranstaltungen in der Buddha-Halle das Kommen und Gehen regeln helfen.
Die Kunst zu Sehen: die Katze, die anschleicht. Der Bambus wirft ein vertrocknetes Blatt ab, zusammengerollt und spitz. Im Sturzflug hat sich das braune Blatt wie ein Geschoss durch ein grünes Blatt am Strauch gebohrt.
Endlich, am 20.12. 96 ist es soweit: Ich ziehe ins "Mit Olympus"-Apartment ein, keine zwei Tage nach meiner Ankunft.
Die Miete vom 20.12.1996 bis 24.2.1997 beträgt 17.000 Rps. Das sind nach dem Schwarzmarktkurs für 500 Mark Scheine 708 Mark. Große Scheine geben einen besseren Kurs.
Glücklich, mein eigenes Apartment zu bewohnen, die Kosten zu überblicken, angekommen zu sein. Gedanken häufig bei der gewohnten Heimat, Gedanken daran, den Rückflug zu schaffen, Ruhe, Ruhe, dreimal Ruhe. Nur - das Chaos ist in den Gedanken, also lerne weiter Ruhe, Stille.
Schlimm ist die Vergesslichkeit. Es kostet soviel Kraft, die Dinge beieinander zu halten. Es sind zuviel der Dinge für das kleine Hirn.