back 2 "enlightenment" (II)

17. Reisen in Zeit-&-Traum

Ich sattele mein Rad nach der Morgen-Lecture. Wie gut es sich anfühlt, die Ashram-Kaserne mit Straßenkleidung frisch zu verlassen.

Ich gehe dankbar. Sauberer Cafe und saubere Toiletten haben mich mit der Ruhe der Lecture gestärkt für die Abenteuer der Existens. Die sorgt für ihre Götter in ihrem Paradies. In Deinem Indien-Urlaub lernst Du, mit prallen Geldtaschen die Bettelvorstellung vom "Überleben-Survival" abzuschütteln.

Das erste Geschenk macht mir mein Radverleiher. Er tauscht die schrottreife Drahteselin in ein stolzes Drahtross mit der Verleih-Nummer "4". Er schraubt noch den Sattel hoch. Ich schwinge mich in die Pedale.

Titanische Gefühle lassen Dich gleichberechtigt mit den hupenden Schwerlastern im Verkehrsfluss mitschwimmen. Grinsend siehst Du in die Fahrerkabinen, wo Dich braungesichtige Beifahrer mit weißen Zähnen anfunkeln. Hai unter Haien? Hering unter Haien!

Zuerst finde ich das Cafe Delite, daneben die Weikfield Computer Academy in der Sassoon Road. Nur die Computer sehe ich nicht, noch nicht. Ich schmeiße erst mal mit Deinen Rupees um Dich, trinkst Cafe und Cola, die hier "Thumps Up", Daumen hoch, heißt. Dann sitze ich im Internet-Cafe vor einem Power-Mac 6100/66. Die 200 Rupees-Rechnung habe ich schon bezahlt. Das Dokument ziert sich mit dem Autogramm der reizvollen Miss Kalpana. Nur die Helfer bringen die Maschine nicht zum Arbeiten, noch nicht.

Den verzögerten Start darfst Du Deiner Zeit anhängen, die Du ohnehin um eine Viertelstunde überziehst. Du surfe mit dem Netscape Navigator 3.0. Die Firma ist so weit weg, dass ich Dicht nicht mehr ihre WWW-Adresse erinnere. "DMV", Daten und Medien Verlag oder Damen-&-Mädchen Verleih, wie wir scherzen, habe ich noch in Erinnerung. Doch unter
"dmv.de"
meldet sich nur der "Deutsche Möbel Verbund". Die Yahoo-Suchmaschine hilft auch in Poona, die richtige Adresse zu finden: "dos.dmv-franzis.de"
Es dauert noch eine Zeit, bis der Helfer die Maschine für den Mailversand konfiguriert hat. Dann gehen Nachrichten in alle Welt.

Natürlich grüße ich die schnuckelig, kleine, süße Redaktionsassistentin, Löwin und 20 Jahr jünger, gerade deshalb so reizend. Ich vermisse sie.

Gestern hat Tyohar gesagt:

Der Meister der Affen


"Schneidet einfach, jetzt und hier, Eure alte Gewohnheiten durch, die ihr als schlecht erkannt habt. Wenn ihr zum Beispiel nicht mehr rauchen wollt, hört auf damit. Jetzt. Wer ewig mit seiner Furcht herumstolpert, lässt sie fallen, hier und jetzt. Sofort!"

Irgendwo muss seine Saat auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Auf Hänschen Kleins Reise mit McAfees Hutkappe durch das anonyme weltweite Internet schicke ich einen Brief an "www.osho.org": Dein Brief sollte beim Essen im roten Restaurant schon angekommen sein:

"Hi dear fellow-travellers! Will we hear last testament until the end of the winter-festival 'buddha field explosion'?
Why don't you show us lectures of the time, when OSHO discovered, that he was cheated?

your very reliable
old german friend
Anand Sudesh
"
Die Kollegen im kalten Land grüße ich ebenso, meinen Chef Christoph, langjähriger Ressortchef im Spiegel und in der Wirtschaftswoche, Günter, stolzer Leiter des Hardware Labors mit Baby-Speck Lächeln, die Sängerin und Schönheit Kathrin, Wolfhard, ehemals Steuermann auf Hochseeschiffen, trocken geworden während der Zeit auf Deinem Arbeitszimmer, Jobst, Hilmar, Peter, stolze Väter im Ehe-Kinder-Aufzucht-Clinch, Friederike, Chefin vom Dienst, ich grüße und grüße, bis Deine 200-Rupees Stunde vergangen ist.

Der SPIEGEL berichtet von neuer medikamentöser Hoffnung auf AIDS. Du brauchst hier keinen Wochenalten SPIEGEL für 200 Rupees in der German Bakery zu kaufen. Für das Geld liest Du eine Stunde im Netz - SPIEGEL online.

Frech und stolz geworden, erledigst Du gleich im Ashram ein paar seit Jahren fällige Nebensächlichkeiten. Die Tanzkönigin Ma Amiyo verkauft Karten für ein Sannyas-Abendtheater vor der Buddha-Halle.

Endlich erfahre ich von ihr, dass meine Gurdjeff-Bücher sie nicht erreicht haben. Das hatten sie mir am 21. Oktober 1984 versprochen, als sie mich rausgeschmissen hatten. Eines der vieles gebrochenen Versprechen.

Lehmhütten (Lucknow 1993)

Ich nähere mich dreist Ma Jivan Fulwarei beim Mittagessen. "Zufällig" kommt sie gerade hinter mir. Ich versuche, mit meinem Langnasen-Rüssel den Duft ihrer schwarzen Haarpracht einzusaugen. Erschreckt weicht sie vor mir und ich bin nicht sicher, dass Sie meine Worte versteht. Mein Begehr versteht sie lächelnd:

"I want to smell the Flowers of Your garden".
Na, wenn sie schon "Garten der Blumen" heißt, wirst Du doch schnuppern dürfen!
Sie fragt in ihrem tippelnd lächelnden Japan-Englisch:
"You have been at ABC-Farm?"
"Yes, it is beautiful, You should go there with me!"
Als sie die schwarzen Locken verneinend um ihre runden Grinse-Wangen schüttelt, lasse ocj sie wortlos stehen. Die Waffen schärfen sich zum Geschlechterkampf - ganz entspannt.

Ich  vertraue dem roten Restaurant mittlerweile so, dass ich offen, vor aller Augen, meine Geschichten auf dem PSION-Palmtop tippe. Ich wage es sogar, den Rechner ohne Passwort-Schutz zu verstauen. So komme ich schneller an meinen Text als mit Bleistift und Papier.

Wichtiger ist noch, dass ich ich meine Texte laufend bearbeiten kann, bis ich ein vollendetes Kapitel von 40.000 Zeichen auf die interne Sicherungs-Disk schiebe. Da haben noch mindestens 200 Seiten Platz. Wären darauf nicht schon bald 4000 Firmen- und Privatadressen mitsamt meiner CD-Liste hätte ich Platz für über 1000 Schreibmaschinen-Seiten - auf 300 Gramm Hardware.

Meine Weltreise begann mit dem Ausflug durch das Internet - eher virtuell. Poona, Montags vom 6. Januar, spendiert mir einen wolkigen Wintertag. Es sind kaum 25 Grad. Mein "Gestrampel-auf-dem-Riesenrad" heizt mir ein. Die Einkäufe stehen unter dem Motto:

"Was kost' die Welt?"
Die Stadt gibt Preise, die Europäer im Ashram nicht verstehen. Aber das ist unwichtig. Die Reise geht auch durch die Zeiten. Swami Sadhan erkennt mich, spricht mich an, erzählt von Swami Siddhartas neuestem Commune-Projekt: Sein "Zentrum für ganzheitliches Leben und Selbsterfahrung" liegt in 

07343 Zschachenmühle bei Saalfeld
und bietet zwei- bis dreihundert Menschen Platz. Derzeit suchen sie noch Pioniere zum Aufbau. Du solltest Dich dort einmal umsehen, zwei Autostunden von Nürnberg entfernt."

Wir reden von alten Zeiten, dem Purvodaya-Center in Margarethenried, Rajneesh-Stadt, dem Ashram auf Schloss Wolfsbrunnen in Eschwege, die Tantra-Gruppe mit Ma Anand Margo, vom Premda-Ashram in Aachen, ich habe den Namen wieder, wo ich von 1984 ein kurzes 10.000 Mark Gastspiel für meine dreiköpfige Familie gab, von der mich Bhagwan befreite, von Swami Ramateerthas Rauswurf aus dem Kölner Ashram und dem aus der Ranch. Swami Sadhan ist ganz eifersüchtig darauf:
"Oh, Du Glücklicher! Ich wollte, das wäre mir auch so passiert. Doch jetzt die gleichen Gestalten in Leitungspositionen wie auf der Ranch halte ich für würdelos. Wenn sie Rückgrat hätten, sollten sie zurücktreten!"

"Sadhan, sie haben keine anderen."
Die letzte halbe Stunde vor der WRB mit letztem Tageslicht reichen kaum aus, um all die Fülle zu beschreiben. Ohnmächtige Worte, Bilder - vor der Wahrheit kannst Du nur schweigen. 

Poona-Shopping fasziniert wie immer. Selbst wenn ich den Tand gleich wieder verschenkst, bewundere ich ihn. Ein feines Lederetui mit Spiegel 40 Rps., eine rote Dose für Ma Jivan Fulwarei aus lackiertem Ton 25 Rps, Karten, ein neues Fahrrad-Schloss, wie das vorige, nur besser, 35 Rps., Silver Pills aus Osaka (Japan) 40 Rps, kleine Packung 15 Rps., Badeshort mit Goa-Schriftzug 45 Rps, Hemd 35 Rps, die neue Enigma MC 70 Rps, Nusrat-MC 40 Rps, englisches Lakritz 20 Rps.

Als ich heimkomme schält Ma Fulwarei Spargel.
"Ich mache Essen für meinen Freund."
Ich weiß nicht, welchen Freund sie meint, Mann, Frau, Oma, Opa, wen auch immer. Ich sehe meinen Eifersuchtsfilm, obgleich ich die Kleine nur flüchtig berührt habe und fliehe in die WRB.

Rotzlümmel frech zu Mute: Als beim Essen eine Ma vom Nebentisch flötet:

"Da, das Zeug auf Deinem Tisch,"
maunze ich nur dreist:
"nicht von mir",
und schlenkere provozierend mit meiner Teetasse davon. Schuldbewusst weist sie auf ihren Freund und seufzt triefäugig:

"Das war er."
Ich freue mich für ihn, indem ich auf sie deutest:
"Herzlichen Glückwunsch zum guten Wachhund."
Eine vorbeischwebende Ma beeilt sich, die gekränkte Geschlechtsehre wieder zu retten:

"Es ging nicht um das Geschirr. Da war eine Brille liegengeblieben."
Irgendwie zweifelt sie aber selber an dem, was und wie sie es sagt, sieht sie doch meine Brille auf der Nase.

Diesmal werden sie wieder eine harte Zeit mit Dir bekommen. Ob sie es wieder wagen, mich rauszuwerfen?

Die Rechnungen sind noch längst nicht bezahlt. Das sollen sie in unserer höchst-heiligen WRB merken, wenn Bhagwan sagt:

"Wir machen kein Geschäft aus unser Multi-University."
Der Einzige der dann laut durch die Halle der Tausenden lacht, das ist der Euch liebende Chronist dieser Reise durch Zeit und Traum.

Swami Anand Sudas im Restaurant erzählt vom Aufbau '87. Er heißt perfekt surrender und tut auch so. Doch dann kommt der Jubel in die Bar: Swami Anand Mahabodh aus Brasilien! Diese welligen, krausen Haare, die blitzenden Augen, das Raubtiergebiss, wir kennen uns. Eine neue Geschichte aus der Ranch-Vergangenheit holt er mir ins Gedächtnis zurück:

"Wir kletterten in den Bergen hinter Oshos Haus herum. Sie kamen mit einem Hubschrauber. Deshalb erinnere ich mich genau an Dich. Swami Amrito kam später noch mit dem Polizeiwagen, und nahm unsere Personalien auf. Er schaut mich bis heute misstrauisch an."

Mosaik-Steine fügen sich zum Bild, zu dem jedes Verständnis fehlt.
Abends kurz vor Mitternacht trinke ich noch meinen Mango-Saft in Laden beim Haus. Ma Fulwarei schwebt hinzu, Wasser zu kaufen. Als ich grüsse, tut sie erschreckt.

Doch sie beginnt zu erzählen. So nehme ich sie noch mit auf mein Zimmer, ihr die kleine Dose mit Silberpillen zu schenken.

"Ich will nicht, dass Leute Geld für mich ausgeben. Die Perlen nehme ich, doch die Dose kann ich nicht annehmen."

"Schenk sie einfach Deinem Freund."
Sie sieht mich ungläubig an, derweil ich ein Foto machen kann - hoffentlich nicht verzittert.

"Aber ich kann für Dich nichts tun."
"Du brauchst nichts zu tun. Sei einfach. Du machst mich einfach fröhlich, wenn ich Dich nur sehe."

Trauriger lächelt sie:
"Ja, die Japaner sind immer 'funy'. Schrecklich, wie Kinder."
"Fulwarei, denk doch nicht so. Kinder sind wunderschön."

18. Zwergenaufstand