Der Satz läßt sich umdrehen: "Nichts gibt mehr Erfolg,
als vollständiges Versagen."
Dann sieht die Welt anders aus: Die Ranch-Pleite war der größte Segen in der
Kommune, den Bhagwan seinen Neo-Sannyasins gab. Nur dadurch erhielt die Kommune überhaupt eine Chance, Einzelne sich freier entwickeln zulassen.
Sklaven verstehen nur Sklaven, nicht aber freie Menschen, nicht einmal Menschen auf dem Weg zur Freiheit. Sklaven sind wir alle, ständig gefangen in Wertungen über alles und jeden. Ob Du die Menschen als Sklaven oder Buddhas siehst, wertend ist beides.
Niemand liebt sich selbst. Niemand kann vorsichtig mit sich selbst umgehen, geschweige mit andern. Doch jeder bildet es sich ein.
Kühe verwerten Bio-Müll (Lucknow 1993) |
Bhagwan hat seiner wunderbaren, hochgepriesenen Ma Anand Sheela bei ihrem Treiben zugesehen. Die kleine Frau sah ja auch eindrucksvoll aus, wie sie in der Buddha-Halle bei den höchsten Feiertagen mit schwerem Revolver im Hüfthalfter vor uns stand. Mit vor der Brust umeinanderkreisenden Fäusten trieb sie das Rajneesh-Orchester zu höchster Taktzahl an. Tausende gingen mit. Wem dabei mulmig wurde, war leicht auszuspähen. Mitläufer sind und waren überall willkommen. Bhagwan zog und zieht Menschen an, die genug haben, genug von sich selbst, ihrer Gesellschaft, den Andern. Diese Menschen bringt keine Ma Anand Sheela in Gleichschritt. Bhagwan lehrt Dich, Deinen eigenen Tritt zu fassen. Gruppen üben Druck nach innen und außen aus. Die Gruppe ist Feind des Einzelnen. Erkenntnis, Erleuchtung gewährt die gnädige Vorsehung nur dem Einzelnen. |
Während Bhagwan noch lebte, also eingreifen konnte, erfüllte die Gruppe ihr gleichsam naturgesetzliches Schicksal: Die Gruppenmacht unterdrückte den Einzelnen und versuchte, ihn zu zerstören. Es ist ihr nicht gelungen. Die Warnung jedoch hängt seitdem über der Bhagwan-Kommune: Achte den Einzelnen. Beobachte die Macht und missbrauche sie nicht. Ob die Warnung weiter wirkt, liegt auch an uns.
Swami Devagit, einst Bhagwans Zahnarzt, läuft nun in schwarzer Robe. Doch über Zahnheilkunde wird er nicht dozieren. Woher nehmen Therapeuten die Chuzpe für ihren Job, woher Erleuchtete?
Wenn Du meditierst, gehst Du auf einen Trip. Die Reden der Menschen plätschern wie Wasserfall. Du spürst ihren Magnetismus, bevor sie an Dir vorbeigehen. Du schickst sie mit den Augen auf Plätze, wie Du Kühe Dir vom Weg weist. Und riskierst so die rasende Wut einer abgewiesenen Schönheit.
Du siehst die Kräfte der Egos in den Begegnungen, in den Begrüßungen. Du vertiefst Dich in die Hindi-Morgenlecture und hörst Dich in Deiner Meditation besser als in einem englischen Diskurs. Augen, Ohren, Sinne gehen Dir auf.
Für einen von der Unterhaltungs- und Medien-Industrie hypnotisierten Mitteleuropäer ist schon die Vorstellung abwegig, eine Stunde so still zu sitzen, dass Du nur Deine Atembewegungen spürst. Diese fremde Kunst kannst Du im Ashram stundenlang üben.
Was mit Dir geschieht, ist nicht vorhersehbar, doch es geschieht etwas mit Dir.
Schon die Inder beginnen, sich zu wundern. In Tyohars stillem Satsang bricht plötzlich ein indisch-englisch Singsang das Schweigen: Wie aus fremden Welten kommen Tyohars Augen unter seinen absolut geschlossenen, nicht zuckenden Augenlidern hervor und sehen den unverschämt Fragenden an. Damit schließen sich wieder seine Augen, dass die Runde in ihre Stille zurückfinden kann. Diese Sicht umher
lässt mich ein kleines, weißes Katzenkind erblicken, angestaubt wie die weiß bezogenen Sitzklappstühle hier.
Der indische Sitar-Spieler leitet den Satsang ein. Das Kontrast-Programm zum Satsang bei Tyohar bietet die Buddha-Halle. Dort versammeln wir uns - wie so häufig. Ganz weit hinten hocke ich, um weniger aufzufallen. Die Lady vom Inner Circle gibt ihren Vortrag. Sie war, so meine ich wenigstens von ganz hinten erkannt zu haben, die Holländerin Ma Arup alias Garimo. Doch entweder war es eine andere oder sie hat ihren Namen geändert. Das folgende Protokoll darf ich in der heiligen Halle mitschreiben, undenkbar zu Ma Anand Sheelas Terrorzeiten:
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Notstrom-Generator für ein Lokal (Agraa 1993) |
"Osho hat 21 Menschen als 'inner circle' acht Monate vor seinem Tod eingesetzt. Seit nunmehr bald acht Jahren kümmern wir uns verantwortungsvoll um die Kommune. Jetzt haben wir uns vom inner etwa 10 Tage intensiv auf die Buddhafield Explosion vorbereitet.
Osho hat oft den Kurs gewechselt. Es gab da keine Diskussionen. Wir Schüler haben einfach vertraut. In Poona kamen dann die Roben, erst Regenbogen-Farben, später dunkelrote und weiße. Jetzt soll die Kommune als ein Körper arbeiten, ohne dass ER im Körper ist.
ER hat schon vorgewarnt, dass die schwierigste Arbeit bevorstände, mit ihm zu sein ohne seinen Körper. Die starke Basis schaffen wir hier. Eine reiche Anzahl von Guten kommt, sie sind vorbereitet für den Markt."
Hat sie das so gesagt? Ich glaube meiner eigenen Mitschrift am nächsten Tag nicht mehr, aber ich ändere nichts.
"Wir haben die verschiedenen working organisations, die
Multiversity, das Präsidium für internationale Arbeit. Bei den vielen verschiedenen Meinungen soll verschwiegen bleiben, wer erleuchtet ist.
Bhagwan hat voraus gesagt, dass es keinen Weg gäbe, seine Arbeit zu verderben. Die Kommune lebt wunderbar, die Leute sind wunderbar, alles ist wirklich wunderbar. Nur Fehler passieren, sind Teil des Prozesses. Es braucht zwar Organisation, aber keine Hierarchie."
Starker Beifall.
"Einige Dinge müssen wir wissen. Wenn wir wissen, daß wir einander vertrauen können, dann können wir ein
bisschen mehr entspannen. Die Arbeit ändert sich, wir müssen uns ändern.
Osho hat recht selten die Vergangenheit erwähnt. Mir hat er mal schwer die Knöpfe gedrückt mit seinem Satz: Die Frauen haben zwei seiner Kommunen zerstört, ein drittes Mal macht er das nicht mehr mit.
Die Ranch zeigte, wie wir mit vier Stunden Schlaf auskamen. Für die Welt war es eine Bereicherung.
Wir tendieren, nach Poona I oder der Ranch zu schauen. Als Brücke für das Nächste ist das nur ein Hintergrund. Unsere Entscheidungen für jetzt müssen aus dem Moment kommen. Wir können dem Jetzt vertrauen.
Wir haben das Wort oft 'policies' gebraucht. Das Wort wollen wir droppen."
Beifall aus der ganzen Halle.
"Relevant ist jetzt 'shared understandings'. Damit starten wir von einem gemeinsamen Grund.
Bürokratie wird gebraucht für die legale Situation, um mit der Aussenwelt zu kommunizieren.
Bürokratie ist eine Funktion des Minds. Bürokratie ist nicht notwendig."
Starker Beifall..
"Bürokratie ist in Sannyas nicht gebraucht."
Beifall
"Trotzt Kontinuität brauchen wir Änderung.
50 feste Mitarbeiter, der Rest soll kommen und gehen. Dann sehen wir hin, wie lange jemand in seiner Funktion bleibt. Vielleicht wäre etwas Änderung nicht schlecht.
Das soll keine policy sondern individueller Ausblick sein, sechs Monate zu bleiben, manchmal länger.
Bewegung soll in die Funktionen kommen, wobei wir alle einladen, alle willkommen heißen.
Unser Alter wächst, wir sind eine alternde Kommune, das Durchschnittsalter beträgt mittlerweile 39 Jahre. Doch Osho hat die jungen Leute angesprochen.
Wir werden jünger und jünger innen."
Beifall
"Doch älter und älter im Körper.
Ein extra großes Willkommen soll es für die Neuen geben. Neue bringen solch frische Energie.
Wir bekommen Strukturen im Mind, bekommen fixiert. Wenn neue Leute kommen, ist das das Gewürz. Wir wollen also absolut offen für neue Leute sein.
Es ist fantastisch, Verantwortung ganz neuen Leuten zu geben.
Ich habe mit einem Jahr Verantwortung bekommen, wer Sannyas kriegen soll, machte Auszüge aus Briefen an Osho, die ihm zu lang waren. All das tat ich mit einem, anderthalb Jahren Sannyas Erfahrung. Jetzt bin ich 22 Jahre Sannyasin."
Meinen Nachbarn, Swami Chaitanya
frage ich:
"Ist das nicht Arup?"
Er meint:
"Garimo"
Sie fährt mit ihrer offenen, ehrlichen Stimme fort, sitzt vorne auf dem Podest:
"Wir versuchen alles, um ihn weltweit verfügbar zu machen. Die Werbung über's Internet verbreitet seine Botschaft mehr und mehr.
Wir müssen dann den Leuten in der Welt vertrauen können, mit den Funktionen, in denen sie sind.
Wir fanden, dass wir jedem vertrauen können und jeden unterstützen können, weil alle für Liebe und Transformation kommen.
Dann wird Kommunikation viel lebhafter. Wir, vom Inner Circle, sind in New York, London oder sonst unterwegs.
Wir haben Fragen, eine Lücke kommt, besonders für die Departments und Arbeiter, also geht und fragt.
Wenn der andere nichts sagt, muss ich gehen und fragen. Wer was wissen will, soll
fragen. Das arbeitet nicht immer, aber mit Vertrauen geht es alles weiter.
Wenn du etwas in 10 Minuten mit einem andern schaffen kannst, in einem Komitee 10 Leute eine Stunde brauchen , dann macht es mit zwei Leuten in 10 Minuten.
Das neue Wort statt policy heißt nun 'geteiltes Verständnis'. Das ist der Schlüssel.
Wenn wir alle über die Welt verbreitet sind, nutzen wir E-Mail. Von Gesicht zu Gesicht geht es gut, aber von Computer zu Computer landet es über die ganze Welt. Dann fühlen sich andere manchmal beleidigt.
Also fühle vorher die Anwesenheit der Person, bevor Du schreibst.
Osho gab Leitung, wie wir Dialoge ausarbeiten: Wenn der andere geht und sich gut fühlt, dann war es eine gute Kommunikation.
Mit eben der gleichen Intention wollen wir im Cyberspace kommunizieren. In dem Moment, wenn wir uns nicht mehr verbreitern, verkleinern wir uns.
Jeder, der mit Osho arbeitet, ist Teil seines Körpers.
Jeder Besucher ist potentieller Mitarbeiter für Oshos Arbeit, jeder ist ein Geschenk für seine Arbeit.
Gib deine Energie Leuten, die Energie geben. Wir sind Oshos Arbeit, my work, our work, your
work. Osho hat gesagt: my work is finished, your work begins.
Wir sind alle Sannyasin und Sucher. Wir sind in Änderung, im Wechsel, wir suchen das Neue, haben den richtigen Jargon, richtige Worte.
Doch der Mind behält sein spirituelles Ego, das unbewusst nichts ändern will. Wir hassen den Winter mit all den neuen Leuten, das sollten wir sehen.
Wir hatten in den meetings einen intensiven und soliden Prozess, vollständiges Vertrauen, das wir großzügig teilen können.
Danke für's Kommen und dem Gossip Zuhören."
Langer Beifall.
Soweit und so bescheiden die Ma in der Buddha-Halle. Das nächtliche Disco-Tänzchen bringt eins dieser Jung-Mädchen in Deine Nähe, Ma Balio oder Bali. Irgendwann wird sie plötzlich heim gepfiffen, vielleicht war ihr indischer Papa dabei.
Ich tanze mit einer Italienerin. Swami Anand Mahabodh, mein alter Ranch-Freund, erlöst mich von ihr, als wir gemeinsam gehen. Ich gehe mit ihm in das Sunderban-Zimmer, wo ich vor 16 Jahren mit Ma Anand Saroja und unserer Tochter Shanti Pujan gewohnt habe.
Swami Anand Mahabodh hat viel getrunken. Er weiß noch von den Rajneeshpuram-Zeiten mein Sternzeichen: "Wassermann". Er berichtet, dass er scharf war auf mich, er schläft eben gern mit Männer, mit Frauen und Männern. Jetzt will er es mal mehr mit Frauen versuchen. Doch:
"überhaupt, jetzt ist zu spät für alles."
Wieder einen Bhagwan-Tag schlauer, radele ich heim durch die Tropennacht. Wasser läuft seit zwei Tage nicht mehr. Ich selbst mag nicht auf das Dach steigen, Ma Fulwarei wird es nicht schaffen, und der neue Mitbewohner, Swami Deva Werner, hat das noch nicht raus.
In meiner Vertrauenskrise zu den Meistern können sie mir auch nicht helfen. Das erste, was Meister fordern, ist Vertrauen. Fehlt Dir das, hilft auch kein Meister weiter.
Was soll's? Bei Tyohar setze ich mich in die Sonne. Der Meister kann mich von der Seite mit silent Satsang stärken, die Sonne von vorn. Eine Katze schnurrt in meinen Schoß. Als ich den Erleuchtungs-Yuppie mit Namaste grüße, beschwert sich das Kätzchen laut maunzend über die Störung.
Weitere Frechheiten kommen mir dann beim roten Restaurant in den Sinn:
"In 10 Jahren ist das hier ein nettes rotes Altersheim!"
Ma Anand Sheela leitet schon eines.
Also war die Dame in der Buddha-Halle doch
Arup. Ich treffe sie mittags:
"Oh, es war eine nette Rede gestern, ich war nur ganz verwirrt, weil ich Dich als Arup kenne."
"Ja, ich habe den Namen vor 10 Jahren geändert."
"Oh, da habe ich ja nur 10 Jahre versäumt",
lache
ich mich krumm und schief. Mensch, Du wirst Dich noch um Dein Ashram-Bad bringen mit diesen heidnischen Bekenntnissen! Die Griechin
Mukta zieht auch schon ein ganz zitronen-saures Gesicht, wenn sie mich erblickt.
Merkwürdig, dass die nette Holländerin berichtet:
"Du warst heut morgen nicht in der Sannyas-Celebration. Man hat Dich bei Tyohar gesehen."
Die Sannyas-Celebration ist ein Osho-Sakrament. 40, 50 Neukunden erhalten ihre Mala, gehen damit beglückt und mit Urkunde und mit Blumen um den Hals von dannen. Wer Tyohar diesen Sakramenten vorzieht, erhält von fundamentalistischen Rajneshees gleich einen Eintrag ins Klassenbuch.