back 2 "enlightenment" (III)

23. Ruhe, nur noch Ruhe

Wie gut, dass ich meinen Computer habe. Ich kann mich daran festhalten wie an einem Teddybären, kann ihn mit in die Dynamische, die Disco und ins Bett nehmen, und ihm meine Geheimnisse anvertrauen. Das Festival Buddhafield-Explosion nützt die Morgenstunden ab 8.00 für Meditation mit Live-Musik.

Ich nütze derweil Mariam, das rote Restaurant. Demütig begrüße ich Swami Devageet an der Kasse:

"Good morning, Sir."
"Na, was haben wir denn da?",

beäugt er forschend mein Tablett, bevor er mir die Rupees vom Voucher streicht. Ich krame den Voucher mit dem Aufdruck

"http://osho.org"

heraus und korrigiere die Anschrift, die folgendermaßen heißen muß:
:
"http://www.osho.org".

Ich habe zwar keinen Internet-Anschluß zum Test, müsste mich aber schon sehr täuschen, wenn meine Version die Falsche wäre.

"Das ist sehr wichtig. Kannst Du 430 anrufen, um das zu klären?"
"Klar",
lüge ich und ärgere mich, dass sie meine Internet-Post nicht gefunden haben wollen. Weiterhin stinkt mir Swami Devageets Schnüffler-Rüssel, der den Voucher aufklappt und noch dreimal umdreht, bevor er ihn mir zurückschiebt. Er findet nur noch ein paar Rupees darauf, keinen subversiven Kassiber, nicht einmal Exstasy, Kokain oder LSD-Blättchen.

Polizei (Lucknow 1993)

Beim Frühstück setzt sich Swami Prem Anamo vom indischen Filmprojekt zu mir. Stolz und aufrecht mit Motorrad-Brille ist er häufig auf seiner Royal Enfield königlich an mir vorbei oder mir entgegen geritten. So hat er Grund zur Frage:
"Ich seh' Dich oft dahinten rausfahren, wohnst Du da?"
"Nein, ich fahr' da zu Tyohar."
"Wer ist das,"
fragt er erstaunt.
"So ein Yuppie, der gerade seinen Erleuchtungs-Business hochzieht. Er verdreht Dir nur den Kopf mit seinem Quatsch."
"Was sagt er denn?"
"Dass in der Buddha-Halle ein leeres Möbel steht, und dass ich den Ashram droppen soll."
"Und sollst zu ihm kommen, klar. Hat er denn wenigsten vernünftige Argumente?"
"Ja, leider."
"Und welche?"
"Dass er der Einzige wäre, der durchblickt. In der Kommune gäb's keinen mehr. Er bildet sich ein, Osho, Buddha, Mohammed und Jesus zu sein."
"Und weshalb gehst Du dahin?"
"Aus dem gleichen Grund, weshalb ich zu Osho gegangen bin."
"Vielleicht macht das für Dich einen Unterschied, dass da jemand aus seinem Körper zu Dir spricht."
"Ja, ich finde die Lebenden schon spannender als die Toten",
bekenne ich ebenso freimütig, wie ich Bhagwans warnende Worte vor all den neuen Spinnern nach seinem Tod zitiere.
"Ja, weswegen gehst Du denn trotzdem dahin?"
"Ach, ich bin halt kein richtiger Sannyasin",
härme ich mich heuchlerisch,
"schon auf der Ranch wurde ich auffällig."
Nachdem ich ihm mit der gebotenen Vorsicht freimütig meine Geschichte anvertraut habe, rückt er mit seiner raus.
"Ich musste Ende '85 auch Hals über Kopf die Münchener Kommune verlassen. Aber ich habe meinen Weg als Unternehmer gemacht. In einem Jahr konnte ich alle Schulden ablösen und mit dem Rest fast zehn Jahre hier mit aufbauen helfen."
Wir tauschen uns immer offenherziger aus. Er interessiert sich nicht für Leute wie Swami Mikel Anamo oder Tyohar, will aber genau wissen, was der erzählt.
"Mein Werkzeugkasten ist voll mit dem, was ich hier bekomme",
sagt er immer und allen.
"Klar, zu voll",
pflichte ich kleinlaut bei,
"ich halt's oft schon nicht mehr aus."
Weiterhin kann ich Swami Prem Anamo nach dem Hotelbau befragen, von dem ich gehört habe. Als Architekt und Bauunternehmer, ein Jahr älter als ich, muss er es wissen.
"Klar, hinter Pythagoros."
"Das wird ja auch nach unserer Währung ein 100000ender-Projekt",
kann ich mich scheinheilig begeistern.
"Ja, das wird teuer. Dafür ist das Projekt für Residentials und Hotelgäste geplant."
"Toll", denke ich mir, "da können sich alternde Sannyasin ja pflegen lassen."
Als ich dem Münchner Rotfuchs freundlich zulächeln will, wie ich mein Tablett fortbringe, schaut sie mich an wie einen Aussätzigen. Ihr ist mein Lachen gestern bei Tyohar nicht entgangen.
Provozierend verlasse ich den heiligen Ort zur besten Studien- und Arbeitszeit, morgens um 10.00 Uhr. Wenn ich wenigstens mit roter Robe meinen Toilettenbesuch abschließen würde, nein, ich erfreue mich des Örtchens in Zivil. Schließlich steht da kein Schild:

"Maroon Zone between 9.00 a.m to 4.00 p.m."

Wieso dieser Erleuchtungs-Rummel bloß so furchtbar anstrengt, frage ich mich. Ich muss doch auch nicht aus jeder Mücke einen Elefanten im Malaria-Angriff machen.
Schon morgens vor der Dynamischen war mir so seltsam. Die grünen Lampen im Morgendunkel um die grün umwachsene Halle geben der Szene ein gespenstisches, klinikhartes Licht, fantasiere ich, bevor mich mein HuHu-Gehopse in der Dynamischen Meditation ablenkt.

Wieso ich den Ashram bloß so glücklich verlasse? Anders gefragt: Wieso bist ich glücklich, den Ashram zu verlassen? Wieso macht es mir soviel Spaß, den Indern bei ihrem Tagwerk zuzusehen? Es entspannt einfach.

Mein morgendlicher Mangosaft, ein ungewohnter Schlaf vor dem Essen, mein täglicher Kokosnusssaft mit ihrem glibberigen Fleisch, meine Fahrradreifen mit Luft aus der elektrischen Pumpe füllen, aus: Mittag.

Zwei Chai lassen mich schon wieder schwitzen. Ich bin  fertig und weiß nicht wovon. Mein abschließender Cafe-Becher leert den Voucher mit der berichtigten Internet-Adresse bis auf zwei Rupees. Du schiebst ihn Swami Devageet rüber und murmele mir in den Bart:

"I'm too tired, to deal with people."

Ich höre mich selber kaum. Das ist wirklich mein Gefühl, zu müde, zu schwach, mein Maul aufzumachen. Hinter der Buddha-Halle finden sich ruhige Plätze. Dort lege ich mich auf eine kühlende Marmorbank zum Schlafen.

Ich kann nur nicht. Mein Herzschlag geht wie beim Essen unter den vielen Roten, die mir fremder als Inder sind. Mein Gedankenfilm spult zurück in meine Kindheit.

Inder entspannen bei ihrem Tagwerk.

Ich war noch so klein, schwach und zerbrechlich. Ich hatte unendliche Mühe, das Laufen zu lernen. Die Bewegungen habe ich genau vor mir gesehen, den andern absehen können. Aber meine Beine fühlten sich einfach zu schwach an.

Ein Ledergeschirr führte mich ein Zeitlang. Mir war zum Heulen, wenn die dünnen Stelzen wieder unter mir wegknickten. Irgendwann ging es dann doch, von allein, immer besser.

Die Anstrengung erinnere ich wieder. Ob es mit dem spirituellen Laufen ebenso schwer wird? Ich weiß es seit Jahren: es ist viel schwerer. Meine Augen füllen sich wieder mit Wasser. Ich will mein jammerndes Selbstmitleid verscheuchen. Ich  bin auch dazu zu schwach.
Verdammter Tyohar! Ich weiß, dass er alle längst schon zerfressenen Hoffnungen gänzlich in Trümmer legen wird. Aber ob er mir hilft, dass ich endlich auf eigenen Füßen stehend die Welt verstehe, das bezweifle ich.

Das habe ich bei Bhagwan bezweifelt. Und niemandem hat es sich bei Bhagwan erfüllt! Niemandem?

Diesmal ist irgendwas anders mit Dir. Du liegst schon wieder im Bett. Du lauscht Deinem Herzschlag, dem Indien-Sound - wie im Film, wie im Traum. Doch Du bist hell wach.

Aus dem Ashram habe ich mich wieder rausgequatscht. Meinem Zimmernachbarn Swami Deva Werner habe ich von meinen Träumen, von Ma Fulwarei erzählt. Ich ärgere mich über mich.

Meine Ma Veet Mimansa, "Ma MiMaMai", daheim muss so wieder einen Tag länger auf ihre Karte warten, weil die Post schon schloss.

Swami Shivaprasad übernimmt das Gespräch mit Swami Deva Werner, meinem Wohnungsnachbarn, einem '79er-Poona-Swami. Seine nächste Gruppe, nur vier Tage, beginnt morgen. Seine japanische Süße, seit zwei Jahren in Poona, musste nach Ceylon, ihr Visum verlängern. Daher schläft er nun die zweite Nacht nebenan allein. Er ist voll auf Entzug. Während ich spreche, wandern seine Augen den Schönheiten nach. Es lohnt nicht, zu sprechen.

Wieder eine Stunde Kaffeepause im Stammlokal, 50 Meter von meinem Bett: Tandoor10. Der Nescafe schmeckt sauer. Fliegen schwirren um meine Beine, die aus den taiwanesischen Tropenshorts ragen, um meine nackten Arme ebenso. Du liebst dieses unvergessliche, wunderbare, beruhigende, langsame Indien.

Weil ich auf meinen Kellner eine halbe Stunde warte, ohne zu murren, murrt auch er nicht. Zwar bin ich sein einziger Gast, aber nach einer Stunde sind wir schon zu dritt. Ziemlich stressig für Deinen Kellner!

Die WRB zeigt mir mich in neuem Licht. Es kann nicht Tyohars "Drop the Ashram" sein, sondern "Drop the Past". Der jetzige Ashram ist ebenso wenig der von '84, wie wir die selben Sannyasins aus der Zeit sind.

Die alte Zeit ist alter Ballast. Die Fantasie spinnt mir gute und böse Filme. Die Wirklichkeit ist anders.

Wir haben gelernt. Der Ashram ist gewachsen in Kraft, in Beständigkeit. Seine Liebe ist vielen das Fundament, auf dem sie ihr Wachstum aufbauen. Wer mehr, wer anderes will, ist frei dazu.

Wenn Du nervst im Satsang, bekommst Du nervige Antworten, die Dir die Nachtruhe rauben. Ursache und Wirkung liegen in Dir, immer in Dir. Täter und Opfer verbindet gemeinsame Liebe, gemeinsamer Hass.

Sannyas heißt Freiheit. Drop the Past, no future, be here & now! Genug für heute.

24. Drop the Ashram