back 2 "enlightenment" (IV)

37. Ma Bali im Abschiedskreis

Langsam verlässt mich die Lust zu schreiben. Was beschäftigt mich mehr? Alle Erlebnisse wirken anscheinend gleich stark: das morgendliche Treffen mit Swami Bodhi. Ich will ihm die Kassette mit Deiner Frage und Swami Tyohars Antwort schicken.
"Ich will meine Zeit nicht länger mit dem Typen verschwenden. Was hat er denn gesagt?"
Weitere Ereignisse schieben sich durch den Tag wie Diapositive durch den Projektor: Ich zappele in der Tanzphase der Dynamischen neben Ma Jivan Fulwarei im Gang vor der Buddha-Halle. Ich finde weder zu meiner Würde noch Kraft, mit ihr zum Frühstück zu gehen. Katzengeschrei vor der Buddha-Halle schimpft mit mir. Doch der Zug ist wohl schon beim Sushi-Essen in der Neujahrsnacht abgefahren. Na und?
Der Projektor schiebt das nächste Erlebnisbild weiter: Während ich meinen 1000 Rupees Voucher nach verbliebenen Punkten durchsuche, um mein Frühstück zu bezahlen, eine Marmeladenpackung zurück bringe, wieder 20 Rupees entdecke, wieder die Marmelade hole, kommt Dorothea. Sie lädt mich ein.
Ungeschminkt und verschlafen, müde vom dynamischen Gehhopse sieht sie aus wie alle andern Frauen. Ja, wie auch sonst?
Beim Frühstück erzählt sie mir von "Erfolgsformeln" und "Nummern", die sie in einem dreitägigen Seminar gelernt hat. Aber ich verstehe nicht, was sie so schnell zu erklären versucht. Wahrscheinlich verstehen die Leute, die es verkaufen, selber nicht. Na und, wenn schon.
Mir reicht, mich zu verstehen. Das will sie wohl auch, aber dann muss ihre "Erfolgsnummer" greifen, wenn ich sie richtig verstanden habe.
Als sie abzieht und ich noch über ihrer Rede Sinn grübele, zwitschert sie fröhlich:
"Ach ich plapper' nur so."
Und:
"Hoppla. Jetzt habe ich die Tasse in den Müll geworfen."
Na, nach zwei Monaten Kursen im Buddha-Feld wird ihr das wohl nicht mehr passieren, wünschst ich ihr in Gedanken als Erfolgsformel.
Die durchrasenden Dias im Erlebnisprojektor machen mich sprachlos. Nur aus Gewohnheit klappe ich die Psion-Maschine auf.
Der laufende Millimeter weiße Laus über dem schwarzen Frühstückstisch war viel spannender, bis ich zu schreiben begannst. Dann war das spannender. Und so geht es immerzu weiter. Bloß, warum fange ich immer wieder etwas neu an? Still sitzen, bis der Abend kommt, und das Gras wächst von allein.
Doch, hoppla! Schule ruft. 8.00 Uhr. Morgen-Diskurs. Nun aber rasch auf Deine Schulbank vor die Buddha-Halle! Das Gras wächst trotzdem von allein.
Wie ich mit meinen Schwimmsachen vom Schließfach komme, sitzt Usha auf dem Kontrollstuhl am Ausgang. Sie hat keinen Badeanzug mit und auch keinen roten Badedress in ihrem Zimmer in Popular Heights.
Ich drücke sie übermütig. Wir gehen in den Park. Als sie das letzte Kapitel liest, wird sie, denkst ich, traurig und abweisend. Jedenfalls sagt sie:
"Ich will jetzt nicht mehr Deine Freundin sein."
Ein paar Atemzüge sitzen wir noch auf der Bank, auf die ich vor etwa 100 Seiten "Fulwarei" gekritzelt habe. Die Schrift ist so verschwunden wie Usha nach ein paar friedlichvollen, stillen Atemzügen. Sie winkt noch gehend mit den Worten:
"O.K., das war jetzt ein schöner Abschied"
In Bashos Pond treffe ich Dorothea wieder. Doch zuvor habe ich mich schon mit der 28jährigen Japanerin Ma Bali in Prems zum Essen verabredet. Neben all ihrem Gedanken lesendem, stimmigen, glücklichen Gezwitscher schreibt Bali mir eine Geschichte auf:

"I like green so much.
I have some plants in my room.
they are my good friends.
I water them, care about them,
let them have shower, and have sun-tan.
I feel they are enjoying.
I watch them, and try to feel them more.
I like this moment so much.

Everyday-life, sometimes I forget to be here,
and often become uncounsious.
But whenever I watch them, water them,
I remember my love, of course,
otherwise, how can I face them?
I cannot cheat my self in front of them."

Ma Bali tippt auf dem PSION.

Ich lese das später, als sie schon wieder mein Bett verlassen hat. Das Bild meiner Augen beginnt zu verschwimmen und ich weiß nicht ob vor Glück oder Trauer. Eins ist gewiss: da ist noch eine, die empfindet wie Du.
Meine Liebe ist faul und müde von den Ringkämpfen mit Usha. Während Ma Bali nach der Prems-Mahlzeit kuschelig in ihren Schlaf fällt, kommt ein wenig Begierde zu mir, dass es zu einem kurzen Besuch bei ihr reicht. Schlaftrunken murmelt sie:

Gedanken lesendes Verständnis

"Do You use Kondom?"
"Sicher, entschuldige, daß ich Deinen Schlaf störe."
"Ist o.k., komm nur."
"Arigato Ma Bali"
Das ist japanisch und heißt "Danke". Ich danke ihr überschwänglich, mit ihr das letzte Kondom geteilt zu haben. Ein paar Tränen kommen wieder in ihre Augen. Lachen und Weinen wechseln bei ihr sehr schnell. Meine letzten Taschentücher, meine Kassetten von daheim, mein kleines Messer schenke ich ihr dankbar:

"Danke, dass Du das alles mitnimmst. Jetzt brauche ich es nicht mehr heim schleppen."

Ich fühle mich ungeheuer reich beschenkt. Sie hat wirklich, wie wir in Prems schon scherzten, nur Haare in der Mitte.

Ich habe meine Badezeit ablaufen lassen, rase noch schnell los, bevor Dorothea kommt, um aus dem Locker meine Badesachen, aus dem Schrank meine Hose zu holen, sitze schon zitternd schreibend auf der Mauer vor dem Haus, als Dorothea ankommt.
Sie hat eine große Tüte mit, in der ich ihr Satsang-Kissen vermute. Es könnte aber auch eine Bettdecke sein. Sie will schon mal ihr Kissen oben abstellen.
"Entschuldige,"
ist es mir unangenehm, ihr das mit Ma Bali zerwühlte Bett zu zeigen,
"es ist wirklich nicht aufgeräumt hier."

"Gibt es einen staubfreien Platz für mein Kissen?"
Ich säubere ein Regalfach, lege es hinein. Ma Fulwarei ist auch gerade gekommen und ich mache sie mit ihrer neuen Hausbewohnerin bekannt:
"Das ist Dorothea, meine Freundin",
spinne ich mein Garn. Denn im unbekannten Inder, der Fulwarei begleitet,  vermute ich den Makler.
"wir streiten aber die ganze Zeit. Deswegen fahre ich morgen nach Goa."
Der Streit war irgendwie auch mit ihr, mit Ma Jivan Fulwarei, denke ich mir. Balis Gedicht stimmt mich jedoch friedlich.
Das Taxi wartet draußen, wir müssen noch mal in Dorotheas Wohnung zum Liberty zurück. Dort bringt sie ihr Bündel, was ich für den Meditations-Stuhl gehalten hast, zurück. Im Satsang wird mir klar, dass sie Kissen und Bettdecke gebracht hatte. Ob sie vielleicht bei Dir schlafen wollte, soll ihr Geheimnis bleiben.
Später, als Ma Bali nicht zur Verabredung ins Zen-Restaurant kommt, fällt mir ein, dass Dorothea ja die letzte Nacht zu mir kommen wollte. Aber das wäre ohnehin mehr gewesen, als mir zuträglich wäre, tröstest ich mich mit dummen Sätzen.
Alles gleichgültig. Ich will essen, will zur Ruhe kommen, will packen, Geschenke kaufen, schlafen und, und, und.
Dorothea sagt vor dem Satsang, dass sie mich morgen um 17.30 Uhr zum Bus bringt. Ma Bali versprach das auch.
Dorothea fragt im Satsang, ob eine Seele im Körper keine Aufgabe zu erfüllen habe. Nach Hause kommen, meint Tyohar lakonisch.
Der Tanz, die Musik, die Stimmung, die Verabredung mit Ma Bali im Zen-Restaurant, all das bringt mich auf Hochtouren. Das Fahrrad kann ich nicht abgeben, weil der Händler schon fort ist. Es geht alles ziemlich durcheinander in mir.
Warum sitze ich allein am letzten Abend? Warum schreibe Du noch?
Kreise musst Du in Dir vollenden. Zur Zeit gerade eine Anhänglichkeit an eine japanische, wunderliche Welt von Gedanken lesendem Verständnis.
Lieber als eine Psion-Maschine wäre mir jetzt ein Mensch. Ich habe Dorothea, die sich mit mir zum Tyohar-Satsang getraut hat, keinen schönen Abend gemacht. Sie wird sich weiter, wie ich vor 12 Jahren, erbarmungslos durch die Mühle von Meditation, Gruppen und, und schleppen. Ich hätte sie besser "anschieben" können, denke ich mir. Doch wie es ist, ist es gut.
Aber derweil Ma Bali in mir wirkte, war ich keines klaren Gedankens fähig. Das bin ich bis jetzt nicht. In meinen Gedankenkreisen sehe ich die Anhänglichkeit an den vergangenen Nachmittag wie eine Lasso, dass mein freies Glück einfängt, einpfercht und festpflockt.

Meine Anhänglichkeit zu sehen, führt mich heraus aus ihr.
Die Erfahrungen mit Ma Bali waren so zauberhaft, von solcher Dichte und Kraft, dass ich dafür den kleinen Satsang, die wunderbare Dorothea und sie zum Schluss selbst habe sausen lassen.
Die Erinnerung in mir an diese feinfühligen Gespräche, tröstet ich mich, sind die Abschieds-Abend Einsamkeit wert. Denn wofür bist Du hergekommen? Um Dich zu erforschen. 
Und mehr konnte ich nicht begreifen, weil ich meine Erkenntnis auf die Geschwindigkeit verringert hast, mit der ich schreiben kann.
Die Erfahrung von Freiheit in der Meditation ist ein so gewaltiges Erlebnis, dass ich mich nicht traue, ohne den Rettungsring meines inneren Reports ins kalte Wasser der Erleuchtung zu springen.
So schon ist es so gewaltig, dass ich Schlaf, Hunger und sexuelle Begierde verliere. Du bist einfach. Nur was?

Das bleibt die Frage.

38. Schule Aus!