Spiritual Shows Supply A2Z (2002) | Chauvi's night Program (1985) | "Enlightenment" in Poona (1997) |
Nähere
Begegnungen mit der Advaita-Art
Übersetzt
von Yuti M. Holzhacker
Stell
dir vor, du erwachst eines Morgens in einer anderen Welt. Während du dir die
Augen reibst, um dich an das helle Sonnenlicht zu gewöhnen, siehst
du, dass sie in vieler Hinsicht deiner Welt nicht unähnlich ist. Um dich
herum gibt es Geschöpfe, die so aussehen, wie die Menschen, mit denen
du
gewöhnlich umgehst. Du beobachtest, wie sie ihren täglichen Beschäftigungen
nachgehen, wie sie leben, sich mit anderen unterhalten und die zahllosen
Wahlen und Entscheidungen treffen, die das Dasein von Natur aus fordert.
Das
Bild ist ermutigend vertraut und normal.
Aber
in dieser Welt entdeckst du sehr bald, dass die Dinge nicht notwendigerweise
sind wie sie scheinen. Es handelt sich nämlich nicht um menschliche Wesen,
sondern um "Körper-Geist-Organismen", die - im Gegensatz zu ihren
menschlichen Ebenbildern - nicht die Fähigkeit haben, zwischen Alternativen
zu wählen oder Entscheidungen zu treffen. Diese Organismen verfügen tatsächlich
nicht einmal annähernd über so etwas wie einen freien Willen. Das Drehbuch
ihres ganzen Lebens war schon lange vor ihrer Geburt in
Stein gemeißelt, was ihnen lediglich das mechanische Ausagieren ihrer
Programmierung erlaubte. Diese scheinbar menschlichen Kreaturen dürften
Maschinen nicht unähnlich sein. Während sie sich dem äußeren Anschein nach
wie selbständig denkende Individuen verhalten, die emsig mit ihren täglichen
Aktivitäten beschäftigt sind, behaupten sie, wenn gefragt, dass sie überhaupt
nichts tun. Tatsächlich sagen sie in dieser absonderlichen Welt, dass es
"keine Täter" gibt. Außerdem wird in dieser Welt niemand jemals für
etwas zur Rechenschaft gezogen. Selbst wenn eines dieser Wesen einem anderen
zu schaden scheint, gibt es keine Gewissensbisse und keine Beschuldigungen.
Wenn du einen dieser Körper-Geist-Organismen darüber befragen würdest, wäre
die Antwort, dass es keinen gab, der irgend etwas getan hat. Ethik ist hier
ein unbekanntes Konzept. Die Gesetze der Natur scheinen in dieser kühnen
neuen Welt nicht zu gelten. Oder vielleicht sind sie
hier neu geschrieben worden, da die Wesen sich an einige seltsame Regeln zu
halten scheinen. Du wunderst dich, wo du da auf Erden gelandet sein könntest.
Aber du bist nicht auf der Erde. Du bist auf dem Planeten Advaita gelandet.
Ich
war nach Bombay gekommen, um Ramesh Balsekar zu interviewen, einen der
bekanntesten lebenden Lehrer des Advaita Vedanta unserer Zeit. Er lebt im
Herzen dieser riesigen chaotischen Stadt in einem exklusiven Strandbereich,
welchen - nach Auskunft meines Taxifahrers - viele prominente Persönlichkeiten
bewohnen. Der Wächter vor seinem Appartementgebäude, automatisch annehmend, dass
ich als Westler gekommen war, um Ramesh Balsekar zu besuchen, wies mich zu
einem oberen Stockwerk, wo Ramesh eine sehr geräumige
und gut ausgestattete Wohnung hat. Balsekar war ein höflicher Gastgeber, der
mich warm auf makellose traditionell indische Art begrüßte.
Sein
Verhalten war aufgeweckt und lebhaft, und ich konnte kaum glauben, dass er
achtzig Jahre alt war.
Für
einen indischen Guru hat Ramesh Balsekar einen ungewöhnlichen Hintergrund.
Nach seiner Ausbildung im Westen vollendete er eine höchst erfolgreiche
Karriere als leitender Angestellter, der sich mit sechzig von seinem Posten
als Präsident der Bank von Indien zurückzog. Er sagt, dass er immer geneigt
war, an Schicksal zu glauben, doch begann er erst nach seiner Pensionierung
mit der spirituellen Suche - eine Suche, die ihn schnell zu seinem Guru, dem
berühmten Advaita-Meister Sri Nisargadatta Maharaj führte.
Nisargadatta
war ein feuriger Lehrer, der im Westen in den 70er Jahren bekannt wurde,
nachdem eine englische Übersetzung seines Buches "Ich bin Das" veröffentlicht
worden war - ein Buch, das zu einem modernen spirituellen
Klassiker wurde. Innerhalb von weniger als einem Jahr nachdem Balsekar
Nisargadatta getroffen hatte, erlangte er plötzlich, während er für seinen
Guru übersetzte, das, was er als "das endgültige Verstehen"
bezeichnete - Erleuchtung. Gemäß Balsekars Bericht authorisierte ihn Nisargadatta,
unmittelbar vor seinem Tod, zu lehren, und seither hat er dessen Botschaft ständig
weitergegeben als Nachfolger dieses hochgeachteten Lehrers. Balsekar hat viele
Bücher, die seine Lehren enthalten, veröffentlicht und in Europa und den
Vereinigten Staaten und in vielen Teilen Indiens gelehrt. Er hält jeden
Morgen in seiner Wohnung Satsang (Audienz mit einem spirituellen
Meister) und ein anhaltender Strom fast ausschließlich westlicher Sucher
findet seinen Weg zu ihm nach Bombay.
Mit
unserem Fokus auf Advaita in dieser Ausgabe der WIE ("Was ist
Erleuchtung?") wollten wir Balsekar ursprünglich aus zwei Gründen
befragen; einmal weil er ein beliebter und einflussreicher Advaita-Lehrer ist
- jetzt mit Schülern, die er zu rechtmäßigen eigenständigen Lehrern
autorisiert hat -, zum anderen weil er von vielen als der Nachfolger einer der
berühmtesten Advaita-Lehrer in der Neuzeit angesehen wird. Nachdem wir jedoch
Balsekars Schriften studiert hatten, erkannten wir schnell, dass er eine ungewöhnliche
und möglicherweise idiosynkratische Form des Advaita lehrte, die - wie wir,
ehrlich gesagt, fühlten - zu fraglichen und sogar störenden Rückschlüssen führten.
Denn während indisches Denken seit langem wegen seiner deterministischen
Neigung kritisiert worden war, schien es, dass Balsekar diesen Fatalismus zu
einem unerhörten Extrem geführt hatte. Letztendlich war es der Wunsch,
diesen schwierigen Bereich zu erforschen als auch unser gesamtes Interesse an
der Lehre des Advaita, was uns nach Bombay führte, um mit ihm zu sprechen.
Interview
WIE:
Sie werden immer bekannter als Lehrer des Advaita Vedanta sowohl in Indien als
auch im Westen. Könnten Sie für uns beschreiben, was Sie lehren?
Ramesh
Balsekar: Ich kann das wirklich in einem Satz zusammenfassen. Der eine Satz,
auf dem meine gesamte Lehre basiert, heißt: "Dein Wille geschehe".
Oder wie die Moslems sagen, Inshallah - "Gott bereitwillig". Oder in
Buddhas Worten: Ereignisse geschehen, Dinge werden getan, für die es keinen
individuellen Täter gibt. Sie sehen, der grundlegende Konflikt im Leben ist:
" Ich mache immer alles richtig, dafür möchte ich meine Belohnung. Er
oder sie macht immer etwas falsch und sollte bestraft werden." Das ist
alles, worum es im Leben geht, stimmts?
WIE:
Ja, das passiert sicher oft.
RB:
Das ist die Grundlage meiner Beobachtung. Das ganze Problem entsteht, weil
jemand sagt: "Ich habe etwas gemacht, und ich verdiene eine
Belohnung" oder "Er hat etwas getan und deshalb möchte ich ihn dafür
bestrafen".
WIE:
Was machen Sie, dass die Leute das erkennen?
RB:
Das ist sehr einfach. Wenn Sie eine beliebige Handlung analysieren, die Sie
als Ihre Handlung ansehen, werden Sie feststellen, dass es eine Reaktion des
Gehirns auf einen äußeren Reiz ist, über den Sie keine Kontrolle haben. Ein
Gedanke entsteht - Sie haben keine Kontrolle darüber, welcher Gedanke
auftauchen wird. Etwas wird gesehen oder gehört, und Sie haben keine
Kontrolle darüber, was Sie als nächstes sehen oder hören werden. Alle diese
Dinge ereignen sich, über die Sie keine Kontrolle haben. Und was geschieht
dann? Das Gehirn reagiert auf den Gedanken oder auf die Sache, die gesehen,
gehört, geschmeckt, gerochen oder berührt wird. Die Reaktion des Gehirns ist
es, die Sie als "meine Handlung" bezeichnen, aber in Wirklichkeit
ist das lediglich ein Konzept.
WIE:
Was ist dann der Unterschied zwischen den Gedanken, Gefühlen und Handlungen
einer erleuchteten Person und eines Menschen, der nicht erleuchtet ist?
RB:
Dieselbe Sache geschieht. Der einzige Unterschied ist, dass der Weise weiß, dass
dies geschieht. Deshalb weiß er, dass da nichts ist, was er tut - alles
geschieht einfach. Der Weise weiß, "Ich tue nichts". Aber der gewöhnliche
Mensch sagt: "Ich tue Dinge, und er oder sie tut Dinge. Dafür will ich
meine Belohnung, und ich möchte, dass er oder sie bestraft wird".
Belohnung und Strafe beruhen auf der Vorstellung, dass er oder sie oder ich
Dinge tun.
WIE:
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir keinerlei Kontrolle darüber haben,
welche Gedanken oder Gefühle auftauchen. Aber manchmal findet Handeln statt
und manchmal nicht. Mir scheint ein großer Unterschied darin zu liegen, ob
ein Gedanke nur auftaucht oder ob eine Handlung geschieht, die einen anderen
Menschen berührt.
RB:
Die Handlung, die geschieht, ist die Reaktion des Gehirns auf den Gedanken.
Wenn dagegen der Gedanke lediglich beobachtet wird und das Gehirn nicht auf
den Gedanken reagiert, dann gibt es keine Handlung.
WIE:
Aber wenn es, wie Sie sagen, keine Person gibt, die entscheidet wie sie
reagiert, was ist es dann, das eine Handlung stattfinden oder unterbleiben lässt?
RB:
Eine Handlung geschieht, wenn es Gottes Wille ist, dass sie geschieht. Wenn es
nicht Gottes Wille ist, geschieht die Handlung nicht.
WIE:
Sagen Sie, dass jede Handlung Gottes Wille ist?
RB:
Ja, Gottes Wille.
WIE:
Der durch eine Person handelt?
RB:
Durch eine Person, ja.
WIE:
Ob sie erleuchtet ist oder nicht? Mit anderen Worten: durch jeden?
RB:
Das ist richtig. Der einzige Unterschied liegt - wie gesagt - darin, dass
der gewöhnliche Mensch glaubt "das ist meine Handlung", während
der Weise weiß, dass es niemandes Handlung ist. Der Weise weiß, dass Taten
getan werden, Ereignisse geschehen, aber es gibt keinen individuellen Täter.
Was mich betrifft und soweit mein Konzept reicht, ist dies der einzige Unterschied.
Der einzige Unterschied zwischen einem Weisen und einem gewöhnlichen Menschen
ist, dass der gewöhnliche Mensch glaubt, jedes Individuum tue das, was durch
diesen Körper-Geist-Organismus geschieht. Da der Weise also weiß, dass es
keine Handlung gibt, die er tut, wird er alles unternehmen, einem Menschen zu
helfen, der durch eine Handlung verletzt wurde, aber es gibt da keine
Schuldgefühle.
WIE:
Wollen Sie damit sagen, dass das Individuum, bzw. dessen "Körper-Geist-Organismus",
das durch eine Handlung einem anderen schadet, nicht dafür verantwortlich
ist?
RB:
Was ich hier sage ist, dass Sie wissen, dass "Ich" es nicht getan
habe. Ich sage nicht, dass es mir nicht leid tut, wenn ich einen anderen
verletzt habe. Die Tatsache, dass jemand verletzt wurde, wird Mitgefühl
hervorrufen, und dieses Mitgefühl erzeugt den Wunsch, alles in meiner Macht
Stehende zu tun, um den Schmerz zu lindern. Aber da wird kein Schuldgefühl
sein: Ich habe es
nicht getan! Das Gegenstück davon ist, dass eine Handlung geschieht, die die
Gesellschaft lobt und belohnt. Ich sage nicht, dass dann keine Freude über
die Belohnung aufkommt. So wie Mitgefühl als Folge der Verletzung auftrat,
mag ein Gefühl von Befriedigung oder Glück entstehen aufgrund
der Belohnung. Aber da wird kein Stolz sein.
WIE:
Meinen Sie also wörtlich, dass nicht ich es tue, wenn ich hingehe und einen
anderen schlage?
RB:
Der ursprüngliche Fakt, das grundlegende Konzept bleibt bestehen: Sie haben
jemanden geschlagen. Das zusätzliches Konzept taucht auf, dass alles, was
geschieht, Gottes Wille ist; Gottes Wille in Bezug auf jeden einzelnen Körper-Geist-Organismus
ist das Schicksal des entsprechenden Körper-Geist-Organismus.
WIE:
Dann könnte ich einfach sagen: "Na schön, es war Gottes Wille, dass ich
das tat; es ist nicht meine Schuld."
RB:
Sicher. Eine Handlung geschieht, weil es das Schicksal dieses Körper-Geist-Organismus
und der Wille Gottes ist. Und die Folgen dieser Handlung sind auch das
Schicksal des Körper-Geist-Organismus. Geschieht eine gute Tat, ist sie das
Schicksal. Wir hatten z.B. eine Mutter Theresa. Der Körper-Geist-Organsimus
genannt Mutter Theresa war so programmiert, dass nur gute Taten geschahen. Das
Entstehen der guten Taten war das Schicksal dieses Körper-Geist-Organismus
genannt Mutter Theresa. Und die Folgen davon waren: ein Nobelpreis,
Belohnungen, Preise und Spenden zu diversen Anlässen. All dies war das
Schicksal des Körper-Geist-Organismus genannt Mutter
Theresa. Auf der anderen Seite gibt es da einen psychopathischen Organismus,
der so programmiert ist - aus derselben Quelle - dass nur üble und
pervertierte Handlungen geschehen. Das Entstehen dieser üblen und
pervertierten Taten ist das Schicksal eines Körper-Geist-Organismus, den die
Gesellschaft einen Psychopathen nennt. Aber der Psychopath hat es sich nicht
ausgesucht, ein Psychopath zu sein. In Wirklichkeit gibt es gar keinen
Psychopathen; es gibt nur einen psychopathischen Körper-Geist-Organismus,
dessen Schicksal es ist, üble und pervertierte Handlungen zu produzieren. Und
die Folgen dieser Handlungen sind ebenfalls das Schicksal dieses Körper-Geist-Organismus.
WIE:
Sagen Sie, dass alles vorherbestimmt, dass alles von Geburt an vorprogrammiert
ist?
RB:
Ja. Ich benutze das Wort "Programmierung" für die angeborenen
Eigenschaften des Körper-Geist-Organismus. Für mich bedeutet
"Programmierung": Gene und Umwelt-Einflüsse. Sie hatten keine Wahl,
zu genau welchen Eltern Sie geboren wurden, daher hatten Sie keine Wahl bezüglich
Ihrer Gene. Aus dem gleichen Grund hatten Sie keine Wahl, in einer bestimmten
Umgebung geboren zu werden. Deshalb konnten Sie auch Ihre Kindheitsbedingungen
nicht wählen, denen Sie in dieser Umgebung ausgesetzt waren, und die alle
Konditionierungen zu Hause, in der Gesellschaft, in Schule und Kirche
einschließen. Die Psychologen sagen, dass die gesamte Konditionierung, die
man bis zum Alter von drei oder vier Jahren erhält, die Grundkonditionierung
ausmacht. Es gibt auch später noch Konditionierung, aber die
Grundkonditionierung, die die Persönlichkeit schafft, entsteht durch Gene und
Umweltbedingungen. Ich nenne das Programmierung. Jeder Körper-Geist-Organismus
ist auf einzigartige Weise programmiert. Es gibt keine zwei gleichen Körper-Geist-Organismen.
WIE:
Ja, aber stimmt es nicht auch, dass zwei Menschen ein sehr ähnliches Set von
Bedingungen haben können, und doch entwickelt sich der eine völlig anders
als der andere.
RB:
Richtig. Deswegen benutze ich zwei Begriffe: der eine ist die Programmierung
im Körper-Geist-Organismus selbst und der andere ist das Schicksal. Das
Schicksal ist Gottes Wille in Bezug auf diesen Körper-Geist-Organismus, das
im Moment der Empfängnis festgelegt wurde. Es mag das Schicksal einer Empfängnis
sein, überhaupt nicht geboren zu werden, was in diesem Fall eine Fehlgeburt
zur Folge hat. All dies ist ein Konzept - verstehen Sie das nicht falsch -
dies ist mein Konzept.
WIE:
Sie sagen, dass dies ein Konzept ist - und natürlich sind alle Worte
Konzepte. Aber woher wissen wir, dass dieses Konzept die Wahrheit ist? Ich
neige zu der Ansicht, dass jedermann persönliche Verantwortung hat und -
obwohl es eine bestimmte Menge ererbter Konditionierung gibt - wir doch noch wählen
können, wie wir reagieren. Ein Individuum kann Aspekte seiner Konditionierung
überwinden, in denen ein anderer lebenslänglich stecken bleibt. Da es so
etwas gibt, würde ich sagen, dass es vom Willen des Individuums, eigene
Konditionierungen zu überwinden, abhängt, ob man damit Erfolg hat.
RB:
Aber wenn das geschieht - könnte es auch geschehen, wenn es nicht Gottes
Wille wäre? Angenommen da sind zwei Menschen: der eine versucht sein Handicap
zu überwinden und ist damit erfolgreich, der andere versagt. Was ich sage
ist, wenn der eine in seinem Bemühen Erfolg hat und der andere nicht, so
liegt das daran, dass es so das Schicksal der einzelnen Körper-Geist-Organismen
ist - und damit wiederum Gottes Wille.
WIE:
Aber könnten wir nicht genauso gut sagen, es ist Gottes Wille, jedem
Individuum den freien Willen zu geben, seine eigenen Entscheidungen zu
treffen?
RB:
Nein. Sehen Sie, meine Frage an Sie ist: wessen Wille setzt sich durch? Der
des Individuums oder Gottes'? Bis zu welchem Grad hat Ihr eigener Wille,
aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrung, vorgeherrscht?
WIE:
Sicher, ich habe das Gefühl, dass der individuelle freie Wille zeitweise
zweifellos vorherrschen kann.
RB: Über
Gottes Willen? Wenn sie etwas anstreben und daran arbeiten und Erfolg haben,
dann geschieht das, weil Ihr Wille mit Gottes Wille zusammenfiel.
WIE:
Nehmen wir das Beispiel eines Drogensüchtigen, der sein ganzes Leben lang süchtig
bleibt. Man könnte genauso gut behaupten, er habe sich entschieden, gegen
Gottes Willen anzugehen und war darin erfolgreich - gerade wegen seines freien
Willens.
RB:
Aber ob Sie das akzeptieren oder nicht, auch das ist Gottes Wille, verstehen
Sie? Ob Sie Gottes Willen akzeptieren oder nicht ist auch Gottes Wille.
WIE:
Ich würde sagen - nicht notwendigerweise.
RB:
Ich weiß, Sie spielen des Teufels Advokat.
WIE:
Nicht doch - ich versuche nur die Wahrheit herauszufinden.
RB:
Aber was ist Wahrheit? Ich habe bereits erwähnt, dass alles, was ich sage,
ein Konzept ist.
WIE:
Ja, ich verstehe. Aber nicht alle Konzepte sind gleich. Einige weisen auf
etwas Wahres hin, während andere vielleicht überhaupt nicht wahr sind.
RB:
Alle Konzepte versuchen, auf etwas hinzuweisen, aber sie sind trotzdem noch
Konzepte. Die richtige Frage wäre: "Was ist die Wahrheit, die kein
Konzept ist?"
WIE:
Worauf ich hinaus will ist: wenn man sagt, dass alles vorprogrammiert und
Schicksal ist und dass es keine Wahl gibt, so scheint mir das eine sehr
extreme Form von Reduktionismus zu sein. Nach dieser Auffassung sind Menschen
wie Computer: alles, was uns betrifft, ist bereits vollständig festgelegt.
RB:
Ja. Genauso ist es.
WIE:
Aber mir scheint das eine Auffassung zu sein, der das menschliche Herz fehlt.
Dann sind wir nur wie Maschinen - alles geschieht mit uns. Da gibt es nichts,
was wir tun, nichts, was wir ändern können.
RB:
Ja, genau!
WIE:
Aber das könnte sehr leicht zu einer grundlegenden Gleichgültigkeit dem
Leben gegenüber führen.
RB: Ja, wenn es das täte, wäre es wundervoll!
WIE:
Wirklich, wäre es das?
RB:
Aber darum geht es doch! Sicher. Dann könnte man sagen, dass alles, was
geschieht, akzeptiert wird. Dann gibt es kein Unglück, kein Elend, keine
Schuld, keinen Stolz, keinen Hass, keinen Neid. Was ist daran falsch?
WIE:
Aber bleibt dann noch etwas von einem Herzen übrig?
RB:
Verstehen Sie unter "Herz", sich elend und schuldig zu fühlen?
WIE:
Nein, nein, das meine ich nicht.
RB:
Was verstehen Sie unter "Herz"?
WIE:
Ich meine damit etwas in uns, das sich im weitesten Sinne um das Leben kümmert.
RB:
Wie ich Ihnen bereits schon sagte: eine Handlung geschieht durch diesen Körper-Geist-Organismus,
und wenn das Individuum bemerkt, dass seine Handlung jemanden verletzt hat,
entsteht Mitgefühl. Wie könnte Mitgefühl entstehen, wo kein Herz ist?
WIE:
Aber ist das nicht etwas eigenartig, hinzugehen und jemanden zu verletzen und
danach Mitgefühl für den Betreffenden zu fühlen? Wäre es nicht besser, ihn
gar nicht erst zu verletzen?
RB:
Aber Sie haben keine Kontrolle darüber! Wenn Sie darüber Kontrolle hätten,
dann würden Sie die Tat von vornherein niemals begangen haben.
WIE:
Jedoch wenn man andererseits glaubt, Kontrolle darüber zu haben - im
Gegensatz zu der Überzeugung, sie nicht zu haben - hätte man die Tat möglicherweise
gleich gar nicht erst begangen.
RB:
Warum übt der Mensch dann nicht Kontrolle über alle sich ereignenden
Handlungen aus? Ich möchte Ihnen eine Frage stellen: Der Mensch verfügt
offensichtlich über einen ungeheuren Intellekt, so viel Intellekt, dass ein
unbedeutender Mensch in der Lage war, einen Mann auf den Mond zu schicken.
WIE:
Ja, das stimmt.
RB:
Und er hat auch den Intellekt zu wissen, dass wenn er bestimmte Dinge tut,
schreckliche Dinge geschehen werden. Er hat den Intellekt zu wissen, dass
die Menschen die von ihm produzierten Atom- oder chemischen Waffen benutzen
und furchtbare Dinge für die Welt geschehen werden. Er hat den Intellekt -
wenn er also freien Willen hat, warum tut er diese Dinge? Warum hat er die
Welt auf den Zustand reduziert, in der sie sich befindet, wenn er freien
Willen hat?
WIE:
Ich gebe zu, dass die Situation, die Sie beschreiben, eindeutig wahnsinnig
ist. Aber ich würde sagen, es liegt an der Tatsache, dass die Menschen
schwachen Willens sind. Ich glaube auch, dass die Menschen das ändern können,
wenn sie wollen - wenn sie Sorge tragen.
RB:
Warum haben sie es dann nicht getan?
WIE:
Einige Menschen verändern sich, aber - wie schon vorher gesagt - scheint die
Mehrheit unglücklicherweise sehr schwachen Willens zu sein.
RB:
Was bedeutet, dass sie keinen freien Willen haben!
WIE:
Freier Wille alleine garantiert noch nicht, dass wir alle intelligent handeln.
Wie in Ihrem Beispiel gesagt ist es klar, dass Menschen sich oft für Dinge
entscheiden, die ziemlich schädlich sind.
RB:
Meinen Sie damit, dass wir den freien Willen haben, die Welt zu zerstören?
Wenn Sie sagen, dass wir den freien Willen haben, die Welt zu zerstören, heißt
das mit anderen Worten, dass wir die Welt vernichten weil wir das tun wollen -
vollkommen bewußt, dass die Welt vernichtet wird. Freier Wille bedeutet, dass
Sie das tun wollen!
WIE:
Ich glaube, das Problem liegt eher darin, dass der Mensch sich normalerweise
die Konsequenzen seines Handelns nicht überlegt. Er denkt meist nur an sich
selbst, ohne zu bedenken, wohin sein Tun führen könnte.
RB:
Aber die Menschen sind außerordentlich intelligent. Warum überlegen sie
nicht dementsprechend? Meine Antwort ist - weil sie das nicht sollen.
WIE:
Wenn Sie sagen "sie sollen das nicht" - was heißt das?
RB: Es
ist nicht Gottes Wille, dass Menschen auf diese Weise denken. Es ist nicht
Gottes Wille, dass der Mensch perfekt ist. Der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen
Menschen und einem Weisen ist, dass der Weise das, was ist,
als Gottes Wille akzeptiert, aber - und das ist wichtig - das hindert ihn
nicht daran, das zu tun, was nach seiner Ansicht getan werden muss. Und was er
glaubt tun zu müssen hängt von seiner Programmierung ab.
WIE:
Aber warum würde der Weise "tun, was er nach seiner Ansicht tun muss",
wenn er - wie Sie bereits erklärt haben - von vornherein weiß, dass nicht er
es ist, der denkt.
RB:
Sie wollen wissen, wie die Handlung geschieht? Die Antwort ist, dass die
Energie in diesem Körper-Geist-Organismus die Handlung gemäß der
Programmierung hervorruft.
WIE:
So kommt die Handlung - wie Sie es beschreiben - einfach durch die Person?
RB:
Sie fließt, ja. Handlung geschieht. Das ist der ganze Sinn meines Redens - um
auf Buddha's Worte zurückzukommen: Ereignisse geschehen, Dinge werden getan.
WIE:
Obwohl, was ich von Buddha weiß, hat er auch sehr strikt darauf
bestanden, dass das Individuum für seine Handlungen persönlich
verantwortlich ist. Ist das nicht die Grundlage der ganzen Lehre von Karma, Ursache
und Wirkung?
RB:
Nicht Buddha!
WIE:
Ich habe den Eindruck, dass Buddha ziemlich viel über das "recht
Handeln" gelehrt hat. Es schien ihm sehr wichtig, was die Leute taten,
und er hat immer wieder betont, dass sie entsprechende Anstrengungen
unternehmen müssen, um sich zu ändern.
RB:
Das ist eine nachträgliche Interpretation des Buddhdismus. Buddha's Worte
sind sehr klar. Wer beherrscht was geschieht? Gott hat die Herrschaft! Das ist
die Grundlage jeder Religion wie wir gesehen haben. Und doch, warum gibt es
dann Religionskriege, wenn dies die Basis jeder Religion ist? Es sind die
Interpreten, die diese Kriege verursachen! Und wie könnte selbst das
geschehen, wenn es nicht Gottes Wille wäre?
WIE:
Sie glauben - das ist klar - dass wir das tun, was wir tun, weil es Gottes
Wille ist. Für mich ergibt das nur für denjenigen einen Sinn, der am Ende
seiner spirituellen Suche angelangt ist - der das Ende des Egos erreicht hat -
weil die Handlungen desjenigen nicht selbstsüchtig sind und es deshalb keine
Verzerrung von Gottes' Willen gibt. Aber solange das nicht erreicht ist, mag
es einfach eine zwanghafte Reaktion auf selbstsüchtige Gefühle sein, wenn
ein Individuum einem anderen gegenüber böse handelt. Wenn das der Fall ist,
dann könnte das, was Sie sagen, tatsächlich als Rechtfertigung für
unangenehmes oder aggressives Verhalten benutzt werden. Man könnte einfach
sagen: "Es ist alles Gottes Wille. Es spielt keine Rolle!"
RB:
Ich weiß, aber das ist die Wahrheit. Ihre wirkliche Frage ist: "Warum
hat Gott die Welt so erschaffen, wie sie ist?" Aber sehen Sie, ein Mensch
ist nur ein geschaffenes Objekt, Teil der Gesamtheit der Schöpfung, die aus
der Quelle kam. Meine Antwort ist also: ein geschaffenes Objekt kann unmöglich
jemals seinen Schöpfer kennen! Lassen Sie mich eine Metapher verwenden.
Stellen wir uns vor, Sie malen ein Bild und auf das Bild malen Sie eine Figur.
Und nun will die Figur erstens wissen, warum Sie, als Maler, ausgerechnet
dieses Bild und zweitens, warum Sie die Figur so häßlich gemalt haben! Sie
sehen: wie kann ein geschaffenes Objekt jemals den Willen seines Schöpfers
kennen? Worauf ich jedoch hinaus will ist, dass Sie das nicht daran hindert,
das zu tun, was Sie glauben tun zu müssen! Das Akzeptieren dessen, dass
nichts geschieht, außer was Gottes Wille ist, hindert keinen Menschen daran,
das zu tun, was er glaubt tun zu müssen. Was sonst können Sie tun?
WIE:
Aber nach dem Verlauf dieser Argumentation wäre es meiner Meinung nach - wie
ich schon vorher sagte -sehr leicht, daraus den Schluss zu ziehen "Gut,
es ist alles der Wille Gottes, es spielt keine Rolle, was passiert", und
dann einfach aufzugeben.
RB:
Sie meinen "warum sollte ich also nicht den ganzen Tag im Bett
bleiben?"
WIE:
Ja, wozu sich überhaupt anstrengen?
RB:
Die Antwort auf diese Frage ist, dass die Energie in einem Körper-Geist-Organismus
diesem nicht gestatten wird für längere Zeit untätig zu bleiben. Die
Energie wird fortfahren, in jedem Sekunden-Bruchteil irgendwelche körperlichen
oder geistigen Handlungen zu produzieren, gemäß der Programmierung des Körper-Geist-Organismus
und dessen Schicksal, was der Wille Gottes ist. Aber das hindert Sie - der
immer noch glaubt, ein Individuum zu sein - nicht daran, das zu tun, was Sie
glauben tun zu sollen. Was ich also tatsächlich sage ist: was Sie glauben, in
jeglicher Situation zu jedem gegebenen Augenblick tun zu müssen ist genau
das, was Gott will, dass
Sie glauben, Sie sollten tun. Die Grundaussage ist, dass das Akzeptieren
Gottes' Willens Sie nicht hindert, zu tun, was Sie glauben tun zu müssen.
Verstehen Sie das? In der Tat können Sie gar nicht anders tun!
WIE:
Es klingt, als ob - nach Ihrer Weltsicht - alles, was wir als Wahl, freien
Willen und Verantwortung betrachten, vom Individuum auf Gott oder Bewusstsein
verlagert worden ist. Ist es das, was Sie sagen?
RB: Es
ist nicht verlagert worden. Wenn Sie glauben, zu agieren, was geschieht?
Schuld, Stolz, Hass und Neid. Aber das verhindert immer noch nicht, dass die
Dinge fortfahren zu geschehen wie sie geschehen. Aber wenn Sie denken, dass
nicht Sie es tun, dann gibt es keine Schuld, keinen Stolz, keinen Hass, keinen
Neid! Das Leben wird friedlicher.
WIE:
Ich habe etwas in einer Broschüre gelesen, die von mehreren Ihrer Schüler
verfasst wurde, was relevant für diese Sache ist. Da heißt es:" Was du
magst, kann nur das sein, was Gott möchte, dass du magst. Nichts kann
geschehen, wenn es nicht Sein Wille ist".
RB:
Ja, das ist richtig.
WIE:
In der Broschüre steht außerdem: "fühle dich nicht schuldig, selbst
wenn ein Ehebruch geschieht. Du als Quelle bist immer rein".
RB:
Das ist es, was Ramana Maharishi gesagt hat.
WIE:
Mein Problem ist, dass die Quelle zwar immer rein sein mag, aber es erscheint
mir - noch einmal gesagt - dass dies leicht als Lizenz benützt werden könnte,
um gewissenlos zu handeln. Man könnte sagen "es spielt keine Rolle, ob
ich einen Ehebruch begehe; es spielt keine Rolle, ob ich meine Freunde
verletze, denn diese Handlungen sind einfach geschehen". Es könnte sehr
leicht als Freibrief verstanden werden, Wünsche zu befriedigen, einfach nur
weil ich gerade diesen Wunsch habe.
RB:
Aber ist es nicht das, was geschieht?
WIE:
Sicher kommt das vor, aber ...
RB:
Meinen Sie, dass es öfter geschehen wird?
WIE:
Es könnte sehr leicht öfter geschehen. Ich könnte sagen: "In Ordnung,
es spielt keine Rolle, was ich jetzt mache. Ich brauche mich nicht zu sorgen
und mich zurückhalten, wenn ich einen Wunsch verspüre." Verstehen Sie,
was ich meine?
RB:
Die Frage, die gewöhnlich gestellt wird, ist: "Wenn ich in Wirklichkeit
nichts tue, was hält mich davon ab, mit einem Maschinengewehr hinzugehen und
zwanzig Leute umzubringen?" Das ist Ihre Frage, nicht wahr?
WIE:
Gut, das ist ein extremes Beispiel.
RB:
Ja, nehmen Sie ein extremes Beispiel!
WIE:
Ich glaube aber, es ist interessanter, das Beispiel des Ehebruchs zu nehmen,
denn es gibt nicht viele Leute, die so etwas Extremes machen würden, wie mit
einem Maschinengewehr andere Leute abzuknallen.
RB:
Gut. Es ist dasselbe, wenn wir von Ehebruch sprechen. Ich habe gelesen, dass
Psychologen und Biologen aufgrund ihrer Forschung zu dem Schluss gekommen
sind, dass Sie, wenn Sie Ihre Frau betrügen, sich nicht die Schuld geben
sollten.
WIE:
Naja, ich glaube nicht, dass das die einheitliche Meinung der Wissenschaft
ist.
RB: Was ich sage ist, dass die Wissenschaft immer mehr zu der Schlussfolgerung kommt, die der Mystiker schon immer vertrat, dass - welche Handlungen auch immer geschehen - sie auf die Programmierung zurückverfolgt werden können.
WIE: Ich verstehe, dass dies in einigen Fällen zutreffen mag. Aber nehmen wir zum Beispiel an, dass ich den Drang habe, einen Ehebruch zu begehen. Ich könnte sagen: "Es muss Gottes Wille sein, dass ich es tue, also halte ich mich nicht zurück" - oder ich könnte mich zurückhalten und meinen Freunden viel Schmerz ersparen. Wäre es nicht besser, wenn ich mich zurückhielte?
RB: Wer hält Sie denn davon ab, sich zurückzuhalten? Tun Sie, was immer Sie möchten! Was verhindert Sie, sich zurückzuhalten? Halten Sie sich zurück!
WIE: Meine Rede ist, dass das so besser ist.
RB: Das ist auch meine Rede.
WIE: Aber nach Ihrer Ansicht könnte ich genauso gut sagen "Es muss Gottes Wille sein, denn ich habe dieses Begehren" und mich dann nicht zurückhalten.
RB: Sie sagen, dass Sie wissen, Sie sollten sich zurückhalten - warum halten Sie sich dann nicht zurück? Wenn ein Körper-Geist-Organismus programmiert ist, seine Frau nicht zu betrügen, wird er es nicht tun, egal was ein anderer sagt. Wenn Sie so programmiert sind, dass Sie gegen niemanden die Hand erheben, werden Sie dann anfangen, andere zu töten? Wenn ein Gesetz gemacht würde, das es Ihnen erlaubte, straflos Ihre Frau zu schlagen, würden Sie dann beginnen, sie zu schlagen? Nicht, wenn der Körper-Geist-Organismus nicht dazu programmiert ist; und wenn er dazu programmiert ist, hat er es sowieso schon getan. Wie ich also gesagt habe: das Akzeptieren von Gottes' Willen hindert Sie nicht daran, zu tun, was sie denken, Sie sollten tun. Tun Sie es! Tun Sie genau das, was Sie denken, dass Sie tun sollten!
WIE: Wie können wir jedoch sagen, dass wir wissen, es ist letztendlich Schicksal oder Gottes Wille? Alles was wir wissen ist, dass bestimmte Ereignisse stattfinden. Nachträglich können wir auf eine Tat zurückblicken und sagen "es ist einfach geschehen" und wenn es uns gefällt, können wir es Schicksal nennen. Aber ist es nicht richtiger zu sagen, dass wir nicht wirklich wissen, ob es Schicksal ist oder nicht?
RB: Das ist der springende Punkt. Wir wissen es nicht.
WIE: Aber zu sagen, dass wir es nicht wissen, ist etwas anderes als zu sagen "wir wissen, es ist Gottes Wille". Es ist etwas anderes als zu sagen, wir wüßten, dass alles vorherbestimmt ist. Verstehen Sie, für mich klingt es, als ob Sie sagten, Sie wüßten, dass alles Gottes Wille ist. Ich schlage jedoch vor, dass wir es einfach nicht wissen. Wir wissen nicht, ob es Gott Wille ist, der diese Dinge entscheidet, also können wir nicht wirklich sagen "So funktioniert es" oder "Alles ist immer von Gott geplant".
RB: Wir wissen nicht und das ist die Grundlinie. Wenn Sie also wollen, können Sie das Konzept vom Schicksal fallenlassen und sagen, dass niemand wirklich etwas wissen kann. Gut! Es besteht keine Notwendigkeit für das Konzept des Schicksals. Letztendlich wenn Sie akzeptieren, dass nichts, was geschieht, unter Ihrer Kontrolle ist, wer ist dann überhaupt da, sich über das Schicksal Sorgen zu machen?
WIE: Da viele geistige Sucher zu Ihnen kommen, um sich Rat für den spirituellen Weg zu holen, möchte ich fragen, welchen Wert - wenn überhaupt - Sie in spiritueller Praxis als Mittel zur Erleuchtung sehen.
RB: Wenn Sadhana (spirituelle Praxis) notwendig ist, ist der Körper-Geist-Organismus programmiert, Sadhana zu praktizieren.
WIE: Mit anderen Worten: wenn es geschieht, geschieht es?
RB: Das ist richtig.
WIE: Sie empfehlen es nicht oder glauben, dass es hilfreich ist?
RB: Manchmal fragen mich die Leute: "Wenn nichts in meinen Händen liegt, soll ich dann meditieren oder nicht?" Meine Antwort ist sehr einfach. Wenn du meditieren möchtest, meditiere. Wenn du nicht gern meditierst, zwinge dich nicht dazu.
WIE: Ist spirituelle Suche dann ein Hindernis für Erleuchtung?
RB: Ja, Suchen ist das größte Hindernis wegen des Suchers. Der Sucher ist das Hindernis - nicht das Suchen. Suchen geschieht von selbst. Suchen geschieht, weil der Körper-Geist-Organismus programmiert ist, zu suchen, was er sucht. Wenn also die Suche nach Erleuchtung geschieht, ist der Körper-Geist-Organismus programmiert, zu suchen. Das Hindernis ist der Sucher, der sagt "ich möchte Erleuchtung".
WIE: Warum haben dann so viele große Weise über die Wichtigkeit des Suchens gesprochen? Ramana Maharishi hat gesagt, dass der Sucher so verzweifelt nach Erleuchtung verlangen muss, wie ein Ertrinkender nach Luft - mit demselben Grad an Zielgerichtetheit und Ernsthaftigkeit.
RB: Sicher. Es bedeutet, dass da diese Art von Intensität im Suchen sein muss. Er hat aber auch gesagt: "Wenn du dich anstrengen willst, musst du dich anstrengen. Aber wenn Anstrengung nicht für dich bestimmt ist, wird es keine Anstrengung geben." Das ist es, was Ramana Maharishi gesagt hat. Sehen Sie also: ob Sie suchen oder nicht unterliegt nicht Ihrer Kontrolle. Ob Sie nach Gott oder nach Geld suchen ist weder Ihr Verdienst noch Ihre Schuld.
WIE: Sie haben in einem Ihrer Bücher geschrieben, dass man schon ein ziemlich tiefes Verständnis erlangt hat, wenn man sagen kann "Es ist mir egal, ob in diesem Körper-Geist-Organismus Erleuchtung geschieht oder nicht".
RB: Das ist wahr. Wenn er dieses Stadium erreicht hat, bedeutet das, dass der Sucher nicht mehr da ist. Das ist ganz nah an der Erleuchtung, denn wenn es da keinen gibt, der sich kümmert, gibt es auch keinen mehr, der sucht.
WIE: Aber könnte das Ergebnis nicht einfach eine außerordentlich tiefe Gleichgültigkeit sein - was nicht Erleuchtung ist.
RB: Die zur Erleuchtung führen könnte!
WIE: Ich möchte Ihnen nur noch eine Frage stellen. Sie sagen oft, man soll "einfach akzeptieren, was ist" -
RB: Ja, wenn es Ihnen möglich ist, das zu tun - und das unterliegt nicht Ihrer Kontrolle!
Epilog
Als ich am Türwächter vorbei in die geschäftigen Straßen Bombays stolperte, drehte sich mir der Kopf. Wie war es möglich, fragte ich mich während ich mir einen Weg durch die Menge bahnte, dass ein intelligenter und gebildeter Mann wie Ramesh Balsekar wirklich glauben konnte, dass alles vorherbestimmt ist und dass - selbst noch vor unserer Geburt - unser Schicksal bereits in eine Art ätherischen Granit eingemeißelt ist. Meint er es wirklich ernst, wenn er darauf besteht, dass unser ganzes Leben mit seinem scheinbar nie abreißenden Strom von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten, seinen prekären Gelegenheiten, uns für eine bessere oder schlechtere Richtung zu entscheiden, in Wirklichkeit vom ersten Atemzug an ein Schicksalskomplize ist? Während ich den Gehsteig überquerte auf der Suche nach einem Café, um darin Erholung vom Chaos zu finden, schwirrten mir die schwierigen Wendungen unseres kurzen Dialogs im Kopf herum. Ja, "Dein Wille geschehe" ist die Essenz fast aller Religionen, dachte ich bei mir, aber für die großen Mystiker und Weisen, die im Verlauf der Geschichte solche Äußerungen getan haben, hat die Hingabe an den Willen Gottes weit mehr bedeutet als nur zu akzeptieren, dass es nichts gibt, was einer tun kann, um die Umstände seines Lebens zu beeinflussen. Sicher kann das, was man traditionell als den "Willen Gottes" bezeichnet, erst entdeckt werden, wenn man das Ego absolut aufgegeben hat, wenn alle selbstsüchtigen Motive ausgelöscht sind und nichts mehr übrig bleibt als äußerste Hingabe an den Willen Gottes, was immer das sein mag! Zu sagen, dass Jesus oder Ramakrishna oder Ramana Maharshi dem Willen Gottes ergeben waren, ist eine Sache. Aber zu behaupten, dass das auf jedermann zutrifft, schien zu diesem Zeitpunkt eine eigentümliche und sogar gefährliche Form von Verrücktheit widerzuspiegeln - zudem eine, die die extremsten Verhaltensformen rechtfertigen könnte. Balsekar's Aussage "Was Sie denken, in jeder beliebigen Situation tun zu müssen ... ist genau das, was Gott will, dass Sie denken, Sie sollten tun" bedeutet, dass für ihn der erleuchtete Buddha nicht mehr den Willen Gottes tut als der Serienmörder, der sein nächstes Opfer angreift.
Ich war zu dem Interview gegangen und hatte einige Meinungsverschiedenheiten erwartet, aber irgendwie hatten mich nicht einmal Balsekars Bücher - in denen all diese Ideen klar und wiederholt ausgedrückt sind - für meine Begegnung mit dem Mann selbst vorbereitet. Wie war er darauf gestoßen? - wunderte ich mich. Und warum? Meine Gedanken drehten sich im Kreis und riefen alles zurück, von seiner schauderhaften Behauptung, dass wir uns nicht schuldig fühlen müssen, selbst wenn wir jemanden verletzt haben, weil wir für unsere Handlungen nicht verantwortlich sind - dass selbst "Hitler nur ein Instrument war, durch den die schrecklichen Dinge, die geschehen mussten, geschahen" - bis zu seiner dem gesunden Menschenverstand trotztenden Versicherung, dass wir keine Macht haben, unser Verhalten zu kontrollieren oder gar das Verhalten anderer zu beeinflussen. Und all das im Kontext seiner Science-fiction-Beschreibung von jedem einzelnen von uns als "Körper-Geist-Organismus", der seine "Programmierung" ausagiert.
Plötzlich kam durch den Nebel der ersehnte Anblick eines Teehauses in Sicht, und als ich nach innen gelangte, war ich erleichtert, die Art stiller Oase zu finden, die ich erhofft hatte. Dort, an einem der vielen leeren Tische, als der erste Schluck zuckersüßen Milchtees meine Lippen passierte, traf es mich wie ein Blitz. Ich trank nicht den Tee! Ich saß nicht am Tisch! Ich war tatsächlich nicht derjenige, der das Teehaus betreten hatte. Und ich war nicht jener, der sich gerade eine Stunde lang in einer Diskussion mit einem Mann gequält hatte, der plötzlich als der geistig Gesunde erschien. Tatsächlich, es war niemals ich, der etwas getan hatte. Es schien, als ob eine Bürde, die ich mein ganzes Leben mit mir herumgetragen hatte, plötzlich von einem Heißluftballon hoch in den Himmel gehoben wurde, weggezaubert,. um nie wieder zurückzukehren. All die Jahre die ich mich bemüht hatte, ein besserer, ehrlicherer und großzügiger Mensch zu werden - all die Anstrengung, die ich unternommen hatte, meinem Hang zu Überheblichkeit, Selbstsucht und Aggression zu entsagen - alles war Torheit, alles töricht und überflüssig, basierend auf der aufgeblasenen Vorstellung, Kontrolle über mein eigenes Schicksal zu haben, und der billigen Vermutung, dass das, was ich "anderen" angetan hatte, überhaupt jemals eine Rolle spielte. Wie konnte ich so in die Irre gegangen sein? Aber, Moment, es war nicht einmal ich, der irregeführt worden war! Wie durch eine Öffnung in den Wolken konnte ich plötzlich klar erkennen, dass das, was ich für "mein Leben" gehalten hatte, in Wirklichkeit nur ein mechanischer Prozeß war. Die Person, von der ich angenommen hatte, dass ich es sei, war nichts als eine Maschine. Und die Welt, in der ich gedacht hatte zu leben, war keine Welt menschlicher Komplexität sondern eine Welt mechanistischer Einfachheit, perfekter Ordnung, ein mathematisches Spiel mit sich bewegenden Programmen seit dem Anbeginn der Zeit.
Als die klinische Perfektion von Gottes wissenschaftlichem Plan sich vor meinen Augen zu öffnen anfing, begann die ekstatische Erregung absoluter Freiheit - von Nöten und Sorgen, von Verpflichtungen und Schuld - durch meine Adern zu rauschen, wie der reißende Strom eines ungebändigten Flusses. Und gleichzeitig kam ein umhüllender, gewaltiger Friede, ein völliges Verschwinden von Anspannung - in der Erkenntnis, dass unabhängig davon, welcher scheinbaren Zweideutigkeit oder Unsicherheit ich später auch begegnen könnte und welchen scheinbar schwierigen Entscheidungen ich mich vielleicht stellen muss, ich stets sicher sein kann, dass ich bei jeder Wahl, die ich treffe, genau das wähle, was Gott will. Das geheimnisvolle Gefühl von etwas Unbekanntem, das so lange an mir genagt hatte, hatte sich aufgelöst. Die Leute im Café drehten ihre Köpfe nach mir, als ich laut zu lachen anfing, ein langes, aus dem Bauch kommendes Lachen. Ich überlegte mir, welch phantastisches Spiel das Leben wäre, wenn jeder verstehen würde, wie alles in Wirklichkeit zusammenhängt, wenn jeder wenigstens eine Ahnung davon hätte, wie frei wir sein könnten, wenn wir alle auf Planet Advaita lebten.
Mit freundlicher Genehmigung der amerikanischen Zeitschrift
What is Enlightment? Ausgabe: Herbst/Winter 1998
Spiritual Shows Supply A2Z (2002) | Ramesh Balsekar | "Enlightenment" in Poona (1997) |