Trunkene Teufel am Tamagotchi-Tag


Vatertag: Jeder fühlt sich irgendwie verletzt, wo immer er ist, was immer er tut: Trunkene Teufel am Tamagotchi-Tag!

Irgendeine unerklärliche Energie drängt mich auf die Straße, Deutschland in einer weiteren großen Reise von München, nahe den Alpen, bis Hannover, nahe der Nordsee, zu durchqueren.

Der solide Diesel-Motor-Klang des schnellen, roten Volkswagen beruhigt meine Nerven in dem gut geheizten, gemütlichen Auto. Die dunkle Stimme von Leonard Cohen mit seiner neuen CD ''Dear Heather'' bezaubert mich aus dem Sound System mit seinen verschiedenen Lautsprechern. Reifen und Fahrtwind pfeifen bei hoher Geschwindigkeit. Der Auto-Computer zählt ganz genau diese Daten zusammen:

- München - Dortmund, 
- 609 Kilometers, 
- vier Stunden, 55 Minuten, 
- Durchschnittsgeschwindigkeit: 124 km/h,
- Durchschnitssverbrauch: 7,8 l/100 km

Die Pupillen saugen sich am grauen Asphaltband fest. Ein Auge beobachtet hinter mir die Straße im Spiegel, das andere Auge fixiert eine unsichtbare Linie vor mir und alle anderen Autos, die rechts neben mir liegen bleiben.


Munich - Dortmund: 609 Kilometers


Keine Lastwagen stören das Rennen am Donnerstag, einem Feiertag. So geht die Reise schnell voran. 

Hinter den wundervollen Wäldern Würzburg's schmiltzt die Sonne die Erde in frühlingsfrisches Grün unter dem blauen Himmel. 
Irgendwo liegt unterhalb der Autobahn ein malerisches Städtchen am Main.
Dessen Schönheit lädt ein wie ein frisches Mädchen in seinem ersten Liebesfrühling.

 


Magnetische Kräfte zwingen mich nach Stunden, das Rennen
 aufzugeben. Ich  nähere mich der Kleinstadt Lengfurt, ...


...10 Kilometer  entfernt von dem industriellen Fahr-Fließband, 
auf dem Leute im Streß sich und Waren bewegen.

 

Wenige Meilen abseits der Szene ändert sich sofort die Situation. Vögel und Schmetterling tanzen und jubilieren im Sonnenschein. Das ruhige Brummen eines mächtigen Diesel Motors schiebt ein schwer beladenes Schiff über den Main. Selten fahren einmal Autos langsam vorüber. Mein kleines Klapprad nehme ich aus dem Kofferraum und fahre flußabwärts am Main, um die nächste kleine Stadt zu besuchen: Homburg. Dort kannst Du auf dem Schloßberg stehen, von wo aus Du den Main und den schillernden Maien-Tag in der grün blühenden Welt bewundern kannst..



schwer beladenes Boat auf dem Main


Homburg

 

Der nächste Halt ist mein Ziel für die Nacht, die Industriestadt Dortmund. Mein Bruder, ein Held der Arbeit, unterrichtet Kinder schon länger als 20 Jahre. Er lebt so glücklich mit der selben Frau mehr als 20 Jahre, so glücklich mit zwei heranwachsenden Knaben, die so glücklich Arbeit suchen. Mein Bruder zeigt stolz seinen Garten mit den wachsenden Bäumen. Die Bäumchen hat er teuer bezahlt, doch sie wachsen und mehren ihren Wert jedes Jahr.



Meines Bruder's Garten mit 
den Wert wachsenden Bäumen


Mein Bruder vor seinem Haus - sein blauer Volkswagen im Hintergrund

 

Mein Bruder ist so glücklich auf seinem Segelboot, sein Wochenendhaus in sommerlichen, freien Tagen. Mein Bruder sorgt sich rührend um meine 84 Jahre alte Mutter, die auch in Dortmund lebt. Und er sorgt sich für die Autos seiner Familie, das Haus, die Motorräder, seine Hobies wie Fotografie und seine Reggae Music Band und 1000 andere Dinge.

Mein Bruder ist ein anerkannter Meister jener hervorragender Konversation, welche niemals irgendwelche Streiterei über die Wirklichkeit austrägt, dafür nur die netten Vorstellungen über sich und andere teilt, wie man sich eben sehen und fühlen will. Meine üblen Provokationen nennen diese Art von Vorstellung: ''Schleimlecker-Bande im Paradies''.

In ''Schleimlecker-Paradies'' schmeicheln sich freundliche Leute unentweg damit, was man gerne annimmt und auch erwartet. In dieser Freundlichkeit berühren die lieben Leute niemals ein Thema, das Streit hervorrufen könnte. Ähnlich ist mein Bruder fähig, schweigend meinen bösesten Provokationen und miesesten Urteile schweigend zu ertragen, aber tief im Innern denkt er natürlich genau etwas anderes. 


Blick vom Schloß Homburg auf den Main

 

Wegen meiner Behandlung in a psychiatrischen Klinik vor 35 Jahren lächeln die so genannten ''Normalen Menschen'' ein wenig verstört über meine launischen Reden und flüstern mit ihrem lieblichsten Stimmlein, dass bald ein neuer Klinikaufenthalt das Beste für meinen gestörten Verstand wäre. Das Beste für diese Lieben Leut'chen ist meist das Schlimmste für andere.

Das nennt sich ''normales Leben'', normales Leben eben im Schleimlecker-Paradies, was meine unmaßgebliche Meinung anbelangt.

Unglücklicherweise steigern die Jahrzehnte im Schul-Job die Magenschmerzen meines Bruders. So beginnt er beinahe jeden Morgen erstmal damit, dass ihm das Erbrechen im Hals aufsteigt. Doch wenn er vor seiner Klasse steht, hat er seinen Körper wieder voll unter Kontrolle. 

Deshalb lobpreise ich ihn als ''Held der Arbeit''.


Erhard provoziert Ulrich

 

Mein Bruder Ulrich kann natürlich auch nicht aufhören zu arbeiten, weil er damit Geld verlieren würde. Geld ist das Wichtigste, um den vornehmen Lebenstil unser Edlen Familie aufrecht zu halten. 

Selbst wenn die Ärzte ihm den halben Magen rausoperieren würden, würde sich mein geliebter Bruder immer als schlauester und wichtigster Schmied seines Glück's vorkommen..

Unser ältestes Halbbruder - neben dem, der sich im zarten Alter von 23 Jahren selbst entleibt hat - hat in einer Operation ein Stück seines Darms eingebüßt, den ein bösartiges Krebsgeschwür zerschrinnte. Doch selbst diese zufällige Krankheit war noch von großem Vorteil für seine Frühverrentung. Weil er nun nämlich als 80 Prozent schwerbehindert anerkannt ist, kann er sich ein paar Jahre früherer Muße erfreuen, ohne Geld eingebüßt zu haben. Das ist es, was als äußerst wichtig in unserer Familientradition gilt.

Mit dieser wertvollen Tradition hat mein alter Vater viel Geld bis zu seinem Tod angespart. So hat mein altes Mütterlein immer noch mehr Geld als genug, um sich Ihrer alten Tage in einem kleinem Hotel auf dem Lande zu erfreuen, wenige Schritte von einem Salzwasser-Warmschwimmbad. Dort übt sie täglich und sorgt sich um ihre Gesundheit in der wohlig temperierten warmen Sole, eine Spezialität von Bad Laer.


Dieser Wursttopf der Feuerwehr-Feier in Lengfurt/Main
könnte unserer hungernden Familie helfen.

 

Im Innern unseres Herzens nagt tiefes Mißtrauen, dass unsere familiäre Millionärstradition sich auf ehrliche Arbeit gründet. Dies Mißtrauen vergiftet alle Angelegenheiten mit allen - selbst zu meinem eigenen Bruderherz! Mein Bruder z. B. misstraut zutiefst den Bankangestellten, die Mutter's Geld verwalten. Diese Leute könnten das Geld meiner alten Mutter stehlen, und mein Mißtrauen sorgt sich, dass mein armer Bruder Geld für sich selbst von ihr stehlen könnte, um seiner hungernden Familie zu helfen. Denn lebt er nicht ständig unter seinem vorgespielten Glück in der verzweifelten Angst, dass er sein Gut und seine Gesundheit in einer Magenoperation verlieren könnte?

Diese meine mißtrauischen Zweifel versucht mein Bruder mit Selbstpreisungen zu zerstreuen wie diese: ''Ich habe ein großes und großzügiges Herz!" Ich vermute, er glaubt sich selbst am meisten. In dieser freundlichen Art versichert er mich:

''Nach meiner aufrichtigen Hilfe unserer alten Mutter in ihren Bankangelegenheiten, kannst Du sie ja in ihr Ferienhotel fahren. Ich brauche sowieso Ruhe auf meiner Segelyacht.''

Diese Worte beglücken mich, dass ich endlich meine alte Mutter wieder einmal treffen kann. Daher reinige ich mein Auto, um mein Mütterlein in gepflegter Atmosphäre kutschieren zu dürfen. Aber nach einer Stunde ruft mich mein liebes Brüderlein an und teilt mir kurz mit:

''Ich fahre Mutter selbst in ihr Feriendomizil. Wirst Du bitte auf mich warten? Ich bin in etwa drei Stunden wieder zurück.''

Nun fühle ich mich vollkommen verstört in meinen zerstörten Erwartungen, bekomme die Rase-Wut und verlasse meines Bruder's Haus in meiner übelsten Laune seit langem.


Harald in his home in Muenster/Westf.

Eine Stunde Weg von Dortmund liegt die wundrschöne Universitäts- und Bischoffstadt Münster, wo unsere Familie von 1954 bis 1960 gelebt hat.

Gerade in einer Nachbarstraße von unserem damaligen Heim lebt heute mein Freund Harald. 

Ich bleibe einen Tag und eine Nacht bei meinem Freund Harald von meinen Studienjahren, der übrigens genauso alt wie mein Bruder ist, 56 Jahre.

 

Wir sind glücklich, dass wir uns wieder einmal treffen können, und beginnen unserer Frühstück mit rotem Wein. Mein liebes Brüderlein ruft wiederum an, um sich unserem Treffen anzuschließen.

Er berichtet, dass unsere Mutter Geld genug in ihrem Bankfach hat. Auch Goldstücke liegen dort unter Verschluß. Meine Mutter bittet den Angestellten, ihr doch das Geld in ihrer Handtasche einzupacken. Doch mein Brüderlein überzeugt meine alte Mutter, dass 10 Prozent Ihres Geldes mehr als genug sind, um ihre nächsten Urlaubsmonate zu überstehen. Sie hört auf ihn und folgt seinem Rat.

Zurück zu meinem Freund Harald. Harald hat etwa seit 30 Jahren in keiner Firma mehr gearbeitet. Er schreibt Lieder, gibt private Piano- und Gesangsstunden, versenkt sich in Hunderte Bücher. Glücklich trinkt er täglich mehrere Flaschen Wein oder Bier, und kultiviert langjährige, weibliche Bekanntschaften.

Harald lebt ganz kommod von Staatsknete, oder hart gesagt: Harald lebt von unseren Steuergeldern, welche die hart arbeitende Bevölkerung abdrücken muss. Harald ist immer sehr stolz darauf, dass er seine Zeit und Energie für sich selbst nutzen kann, um seine kleinen ausgefeilten Fähigkeiten zu entwickeln. So gibt er sich als ehrsame, weise Autorität für seine Freunde, die jungen Leute und alle, die seinen Auftritt akzeptieren.

Seit etwa drei Jahren lebt er mit seiner netten Nichte, der Tochter seiner Schwester, einer 20 Jahre jüngeren Dame mit zwei Kindern. 

Ihr Glück ist etwas getrübt, weil die kleine Schwester sich mit AIDS mit gerade einmal 15 Jahren von einer Heroinspritze angesteckt hat. Doch mittlerweile als junge Mutter im blühenden Alter von 22 Jahren, balancieren wohl Mutter und Kind ihr Leben mit den nötigen Drogen wie Bier, Wein, Nikotin mit oder ohne Marihuana und anderen delikaten Bereicherungen aus, um die täglichen Mühen des Alltags zu vergessen.

Harald hat selbst drei oder vier Kinder. Sein ältestes Sohn, 30 Jahre alt, kann nicht mehr arbeiten. So lebt der junge Mann früh verrentet hoffentlich auch froh und glücklich von Staatsknete. Harald hat nicht mehr viel mit dem jungen Mann in den letzten Jahren zu tun gehabt.


Ich habe sein 20 Jahre alte Stereoanlage angeschlossen. 

Nur die jüngste Tochter seiner Freundin und Nichte ist weder willens noch fähig in ihrem zarten Alter von 14 Jahren, täglichen Schulunterricht zu ertragen. Oder das Kind kann der elterlichen Disziplin nicht folgen, nachts heim zu kommen.

Die Polizei und professionelle Therapeuten können dem guten, armen Kind auch nicht helfen. Bei meinem Besuch dieses faszinierenden Mädchenkindes ist es zufällig sogar vor Mitternacht heimgekommen. Vermutlich dünkt sich das Mädchen noch viel schlauer als Harald und seine Mutter, und erwartet ihr beschwingtes Leben ''No-Future'' - aber mit öffentlicher Fürsorge bis zu ihrem letzten Atemzug. Wahrscheinlich wie die meisten Menschen, die alles nehmen, ohne dafür irgendeinen Preis zu zahlen.

Harald und seine Freundin feiern inspirierende Gespräche bei der vierten oder fünften Flasche Wein in der Nacht. Ich habe Harald's 20 Jahre alte Stereo Anlage installiert. Wir mussten dafür gerade einmal 10 Euro für drei Kabel investieren. 

Mit dieser Anlage kann Harald wieder seine Musiksammlung der letzten Jahrzehnte nutzen. Vom Alkohol beschwingt drehen Harald und seine Freundin die Lautstärke weit nach Mitternacht brüllend auf. Ich verlasse ihre Wohnung, um meine sieben Sachen für die Nacht aus meinem kleinen, roten Auto zu holen.

Mit stolzem Glück finden Harald und seine Freunding bei Ihrem lauten, nächtlichen Musikexperiment heraus, dass ihre Nachbarn die Polizei nicht wegen Ruhe störenden Lärms alarmieren.

Am nächsten Morgen verlasse ich diese Szene, derweil alle noch fest schlafen.

 


Meine alte Tante: 82 Jahre

Meine alte Tante, die jüngere Schwester meiner Mutter, lebt nicht weit von Harald nahe beim Hotel meiner Mutter. Ich besuche die alte Dame, die eine kurze Geschichte über ihre Zeit als Flüchtling geschreiben hat. Sie musste Marienwerder, östlich von Danzig, im Januar 1945 verlassen, als die russischen Bombenexplosionen näher rückten.

Sie war 22 Jahr jung und hat es irgendwie geschafft, Danzig zu erreichen. Von dort kam sie über's Meer nach Dänemark, wo sie zwei Jahre in Gefangenschaft leben musste, bevor sie endlich 1947 in unser geliebtes Heimatland zurückkehren konnte. Seit dieser Zeit hat sie ihr ganzes Leben lang als Lehrerin gearbeitet, ist nun im Ruhestand und besucht meine alte Mutter. 


Mein Mutter: 84 Jahre

So kümmern sich die beiden alten Schwestern um ihre Gesundheit im Salzwasser des kleinen Städtchens Bad Laer.

Ich bade dort auch, und verlassse meine alte Mutter in Richtung Hannover. Dort kann ich die Nacht bei Laleela bleiben, die glücklich mit ihrem Sohn dort lebt. Offensichtlich freut sie sich an dem wundervollen fünf Jahre alten Jungen mehr als an einem Tamagotchi. Die junge Mutter sorgt für sich und ihr Kind mit aller weiblichen Weisheit, die man sich vorstellen kann.


 

Wir teilen uns eine Flasche Rotwein in der der Nacht. Ich unterhalte uns mit meinen trunkenen Fantasien, die ich ''Delirien Gespräche'. nennen könnte. Am Morgen schreibe ich diesen kleinen Reisebericht bis 8.00 Uhr, und lasse Laleela und ihren Tamagotchi Buben. Beide schlafen noch in tiefer Stille. Als ich mit meinem Gepäck zurück zum Auto marschiere,  rufe ich meine Mimamai an und erzähle ihr lachend:

"Mima, Ich bin gerade den Klauen der Spinnenfrau entwischt.'' 

Wir lachen beide.

Wieder auf der Straße bewegt mich schnell das rote Auto. Ich bin glücklich.

Dieser Tamagotchi-Tag entspannt mich mit gutem Essen und vielen Stunden im Saunabad Bad Brückenau. Dort stehen vier Badewannen unter freiem Himmel, gefüllt mit gesundem, warmen Mineralwasser. Nach sieben Stunden gehe ich wieder entspannt auf die Straße und stürze mich in die abendlichen Staus. 

Nach einer kurzen Teepause in Nürnberg mit meiner Tochter und ihrem Freund komme ich endlich glücklich noch vor Mitternacht heim.


Hannover Hinterhof