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4. Schrei in der Nacht

Mein sechster Urlaubstag fällt auf den 23. Dezember, einen Montag. Arbeitsstress hat gelehrt, Montage zu fürchten. Zuviel habe ich den langjährigen Sannyasins und Poona-Dauerurlaubern im Filmprojekt verraten: Denken verrät Zweifeln. Wer über heiligste religiöse Gefühle scherzt, verscherzt sich schnell die Freundschaft: "Was willst Du eigentlich im Ashram?" "Soviel Durcheinander wie möglich machen! Hahahaha!"

Jeder versteht Bhagwans Arbeit und Leben anders. Mancher versteht es so wie ich, ohne dabei "Böses" zu wollen. Wer "bösen" Spott als seine Wahrheit fühlt, soll er darauf verzichten? Wen die gleichgeschaltete Herde in der White Robe beunruhigt, entfliehe dem Ashram! Einer etwa gleichaltrigen Erica aus Oxford erzähle ich die Stationen von Sannyas allgemein historisch und von Dir speziell individuell. Mein Konzept für sie: Bhagwan hat drei Kasten von Mala-Trägern hinterlassen:

- Die frommen Jünger der ersten Jahre zieren sich mit einem ovalen Bildnis des Meister, Mala genannt. 

- Nach sieben Jahren, etwa 1975, stiegen die Kunden des Erleuchtungszirkus auf runde Malas im Holzrahmen um. 

- Weitere sieben Jahre später, ab 1982, rahmte billiges Polyester des Meisters lächelndes Bildnis.

Wie in allen Kasten sahen die Älteren auf die Jüngeren milde lächeln hinab, habe ich immer empfunden. Während des Abendessens in einem kleiner Restaurant hinter dem Back-Gate, Prems, krame ich also für Erica das Geben und Nehmen meiner Mala aus der Erinnerung:

- gegeben am 2.2.1981 von Osho in Poona,
- genommen am 21.10.1984 in Rashneeshpuram von der Sheela-Puja-Gang,
- zurückgegeben in der dritten Kalenderwoche 1986 als Plastikversion in Köln von Swami Ramateertha.

Ericas Tochter ist 19 Jahre alt, meine 18. Die neue Generation fühlt sich gelangweilt hier, meint Erica, deren Tochter alleine durch Indien reist. Sie kommt morgen nach und fürchtet, dass ihre Mama gänzlich den Verstand verliert und - Sannyas nimmt!

"Where is the spontanity?" fragt Erica. Als ob ich das wüsste! Anpassung und Freiheit gehen schlecht zusammen. Vielleicht will der Inner Circle nicht die Jungen. Die tun sich zusammen, lieben sich zum Nulltarif. Wer soll dann die horrenden Therapie-Preise zahlen? Das scheint doch eher für kaputte Typen mit dicken Brieftasche zu passen. Und davon gibt es immer mehr. Kaputte Typen um die 50 wie Du und Ich - nur Dein Geldbeutel könnte voller sein.

Diese Gedanken bleiben nicht ohne Folgen: Zur Strafe beunruhigen mich beißende Außenseitergefühle, die ich mir überall zu machen verstehe - von Kindesbeinen an. War das der Grund, sich bei Bhagwan  geborgen zu fühlen? Gäbe es größere Außenseiter als Bhagwan, Sokrates, Jesus, Al Mansur? Gift, Kreuz oder radioaktive Verstrahlung sind im Preis der Erkenntnis inbegriffen. Menschen wie Bhagwan bleiben locker dabei, ich nicht.

Die Nächte übertreffen des Tages Grauen. Der Traum schreckt mich hoch mit eigenem Schrei. Der pockennarbige Inder von gestriger Film-Produktion dringt blutverschmiert in meine frühe Morgenruhe. Wer, wen wieder wo erschlagen hat, kann sich jeder selbst einsetzen. Mentale Massenmörder sind wir ohnehin alle. Deshalb bleibt gewiss: wir brauchen Hilfe, spirituelle Weisung, Halt und Auswege aus Angst, Enge, Qual und Quälerei.

         

Deva Pujan, dreimal allein über den Atlantik und n0by in der Poona-Film-Produktion

Osho in der Morgen-Lecture: "Yes, the very word ashramite means: 'take it easy!' " Der Montag geht weiter. Die fette Vermieterin Mrs. Sharma will nicht erlauben, dass ich die Hütte nach der Abreise weiter vermiete. Swami Suviro tröstet, dass es sich darum nicht zu sorgen lohnt. Er hat wichtigere Sorgen. Er importiert nach Deutschland indischen Silberschmuck in Großhandelsmengen. Dies zu organisieren, kostet Kraft. Er plant, die Arbeit mit einem Organizer zu vereinfachen. Irgendwann soll ich ihn in mein Maschinenwerkzeug (PSION) einweihen. Was das Apartment betrifft, behauptet Swami Suviro, vermieten wir einfach weiter und basta! Die geldgierige Vettel Mrs. Sharma maunzt: "Wir sind Arier, Sie auch!"

Und von Autorität konditionierte Idioten nicken noch ergeben zu dem dreckigen Trick des Teile-&-Herrsche Spiels. Dabei zieht sie in der Hütte schon die dritte Wand hoch, um einen neuen Raum zu vermieten, für 7000 Rps/Monat. Bald 300 Mark für ein weiteres Zimmer mit Dusche im Klo - draußen in der Eingangshalle. Ein alter Freund, der Maler Sw. Anubhadda trampte noch 1979 nach Poona I, wo er in selbst erbauter Bambushütte leben konnten.

Dafür war die fette, "arische" Inderin Mrs. Sharma schon zweimal in Europa, wo es sie zum Shopping hinzieht. Doch zum Relaxen geht es dann in ihre Villa hier in Poona am Koregean-Park oder in ihr heimisches Mumbai oder sonst wohin.

Die eine Mark für die Taxifahrt zur Stadt lohnt sich. Roben sind zwischen 70 und 100 Rps billiger als in den Shops bei Surya Villa Hotel, Passbilder kosten ein Drittel vom Ashram-Preis. Die lärmende Wahrheit der arbeitenden Menschen zieht mich mehr an als die okkulten, spirituellen Wahrheiten. Kein Mensch kann nachvollziehen, was sich an Sternkunde, Energieübertragung in Prana-Heilen, in Reiki oder tibetanischem Herzpulsieren den Eingeweihten eröffnet. Nur der Hungerbettelschrei des knochigen Bettlers zieht durch die Erinnerung. Du hast ihm nichts gegeben? Sein Hungerleid wird Dir nachjaulen, wann immer Du dies liest.

Kritik in den heiligen Ashram-Gefilden ist bei frommen Jüngern verpönt. Kritik fällt - wie zu Sheelas Zeiten, wie überall auch - auf den "Querulanten" zurück. Im Ashram gilt wie überall: "Bist Du nicht für mich, bist Du gegen mich." Die Ashramvorschrift schreibt eine strenge Kleiderordnung vor, die eine Art Drei-Klassen-Gesellschaft erkennen lassen könnte:

- Therapeut: schwarz
- 18.00 bis 21.00 Uhr: Gathering of the White Robe
Brotherhood: weiß
- 09.00 bis 16.00 Uhr: Essensausgabe oder Betreten der Schwimmanlage nur für Rotgewandete

Die Art des Kleidungsstück ist auch vorgeschrieben. Es nennt sich "Robe", eine Art Nachthemd, welches Du über den Kopf ziehst. Was Du darunter trägst, interessiert höchstens noch den Metalldetektor vor der Buddha-Halle.

"Schwestern und Brüder in Osho! Lasst uns den einig suchend Sinn durch gleiche Kleidung unterstreichen! Lasst uns die Hetze des Alltaglebens in gleicher Klosterkluft gemeinsam abstreichen! Yahoo! OSHOOOO!!" Ähnlich mag es im Kloster klingen, träumst Du Dir. Sannyas ist klar, klar im Befehlston, etwa so:

"Begin 1/2 hour after WRB, bring your registration card and book at Plaza"

"WRB" heißt natürlich "Meeting of the White Brotherhood-Meditation". Bhagwan hat die Meditation als eine seiner letzten Übungen eingesetzt. Da sie weltweit stets zwischen 19.00 und 20.00 Uhr stattfindet, meditieren in verschiedenen Zeitzonen auf der Welt Sannyasins in der WRB "rund um die Uhr, rund um die Welt".

Swami Prem Abinashi, der blonde, 40-jährige Holländer von der Film-Produktion, half beim Prems-Abendessen, mein mich zerfressendes Bild vom Ashram zurecht zu rücken. Prem Abinashi heißt "noble Liebe". Seine Geschichte: "Die letzten Jahre kamen mehr und mehr Goa-Hippies, feierten Feste mit Shit und anderen Drogen. Resultat war, dass die Polizei immer häufiger vor der Ashram-Tür stand. Es drohte sogar, dass die konservative Hindu-Partei den ganzen Ashram schloss. Swami Devagit, Oshos Zahnarzt, hat darauf harte Disziplinar-Maßnahmen einleiten müssen, um den losen Freak-Haufen mit den Erfordernissen des Seins und der indischen Staatsgewalt in Einklang zu bringen. Seit der Zeit resultieren strengere Regeln, die dieses Jahr sogar wieder gelockert werden."

Um die rote Registration-Karte, die sogar für Bad und Bar notwendig ist, zu bekommen, ist ein Info-Gespräch in der Plaza notwendig, das "Gespräch von Buddha zu Buddha". Swami Devagit interviewte also Swami Abinashi voriges Jahr: "Sind da Parties, wo jemand Drogen nimmt? Wer ist dabei?." Swami Abhinashi empört sich:  "Devagit, ich bin Holländer. Bei uns ist Shit erlaubt. Ich pflanze und pflege sogar ein paar Gras-Pflanzen. Deren Ernte verkaufe ich, um auch hier in Poona sein zu können. Du kannst nicht verlangen, dass ich jemanden verrate deshalb!"

Swami Devagit dringt weiter in den zu untersuchenden Buddha: "Du bist nicht kooperativ mit dem Ashram. Wir müssen uns hier schützen. Wir haben massive Schwierigkeiten mit den Behörden. Daher brauchen wir Eure Hilfe und Mitarbeit."

Dickschädelig behaupte ich und bleibe dabei, dass die Gruppen-Preise, also die Kosten für Therapie viel zu hoch sind. Doch Du brauchst ja keine Gruppen zu machen! Die meisten Neuen wollen es, um besser dabei sein zu können. Außerdem hebt so der gläubige Sannyasin sein Sozialprestige in der spirituellen Hierarchie.

Angeblich planen die Ashramiten den Bau eines Hotels. Das verschlingt viel Geld. Ein Hotel für geschiedene Ehepartner, Witwen oder Witwer, die auf die alten Tage neu beginnen wollen oder müssen, wunderbares Projekt.

Swami Prem Abinashi gibt mit seiner Erzählung eine Art Schlüssel zum Verständnis der Vorgänge. So tanze ich einfach ein munteres Stündchen, gönne mir Spaß in der Tropennacht unter dem Licht des vollen Mondes.

5. Traumtage