Es erschien mir, als hätte sie auch zu ihren Gebeten
einen Abstand gefunden, nicht jedoch zu einigen durchaus weltlichen
Wünschen. So diktierte sie mir noch am letzten Abend ihres Lebens eine
kleine Einkaufsliste, als wäre an Sterben überhaupt nicht zu denken!
Freitag Vormittag erfüllte ich Esthers letzte Wünsche in
der von Schnee und Graupel gepeitschten Stadt: Mangosaft,
Lychees, Lakritz, Früchtli und Das Tibetanische Totenbuch,
aus dem ich ihr zur Stunde ihres Todes vorlesen sollte. Wie freute sich das Kind bei diesem meinem letzten Besuch bei ihrem Bewusstsein Freitag Mittag! Sie schleckte wie in ihrer frühester Kindheit zwischen ihren geliebten Eltern die Süßigkeiten, mit denen wir sie einst vor bald 30 Jahren belohnt hatten. Immer wiederholte sie: „Ich habe so liebe Eltern. Ich bin ja so glücklich.“ Um 16.00 Uhr starb Esther in den Armen ihres geliebten Mannes sowie des Bruders ihrer Mutter. Ihr Mann drückte ihr die Augenlieder hinab. Die Sonne brach aus dem schneegrauen Himmel. Ihr Gesicht entspannte sich in einem entrückenden Frieden. Samstag erledigte ihr Mann mit seinem Vater und mir die Bestattungsformalitäten. Wir holten ein Mittagessen dort nach, wo Esther am 27. Dezember 2007 ihre heimliche Hochzeit in engstem Kreis – nämlich zu dritt - gefeiert hatte. Wir mussten uns nun unwiderruflich der Wahrheit stellen: Esther ist tot. Bei einem letzten Abschied an ihrem Sterbebett, wo sie ihre Mutter festlich in weiß gewandet und friedvoll gebettet hatte, zwang mich wie auch ihren Mann der Anblick ihres Körpers auf die Knie. Es entrangen sich mir die Worte, wie mich meine Tochter, Freundin und Lehrerin noch über ihren Tod hinaus Beten lehrte: „Ich danke Dir, für alles, was Du mir gegeben hast.“ Dies Gebet drängt danach, sich um die Bitte zu erweitern, mir selbst alles zu verzeihen, was mir als versäumt, verkehrt, unvollständig, gefühllos zu ihr – und ja auch zu anderen – und letztlich immer nur zu mir selbst erkennbar wurde. Doch diese Erkenntnis ist neben dem bewussten Mühen und dem angenommen Leiden ja auch Gnade. Nach dieser Gnade sehnt sich jeder. Denn eins ist jedem gewiss, wie jeder wohl weiß: „steh’ auch mir bei in der Stunde meines Todes!“ Selbst diese Stunde hast Du mir noch gezeigt. Mein liebes Kind. Dein Vater Erhard, Dein lieber „Papa-lapapp“ Dienstag, 27. Januar 2008 |
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