Von Sibiu ins Donau-Delta ans Schwarze Meer |
War es nicht ein Baron von Rothschild, der nach der Devise seine Millionen scheffelte, wenn "Blut auf der Straße fließt, dann investiere!"? Vergleichbar zynisch lässt sich zu Fernreisen feststellen: "Je elender die Menschen in ihrem Land leben, umso mehr bekommst Du als Tourist für Deine Devisen."
von Erhard Thomas oder n0by mit Null |
Blick von der Moschee in Constanza aufs Meer |
Noch sind wir in Rumänien am Meer. Die meisten Menschen mögen das Meer. Aus der Schulzeit blieb mir ein Sprichwort im Sinn: "L´amour de la mer est la mort de l`amour." (Die Liebe zum Meer ist der Tod der Liebe.) Dies und mehr ist der Grund, dass sich Menschen zu Tausenden an Sommer-Stränden sammeln, gleichsam um ihre archetypische Sehnsucht zu stillen und von staubigen Städten und Straßen auszuspannen . Dafür zahlen und drängen sich Menschen gern am rauschenden oder ruhigen Meer. Wer die Menschen in Menge nicht mag, zieht sich davor zurück. Die einen finden ihr Sommerparadies, andere schütteln sich vor Abscheu und meinen: "In die kalte Drecksbrühe stecke ich keinen Fuß. Unter diese Menschenmassen menge ich mich nicht!" Wer das Hier-&-Jetzt wie in Mamaia völlig verachtet, träumt sich vielleicht fort in mondhelle, einsame Nächte wie nach Goa, wo es vor 20, 30 Jahren noch so wunderbar war, wie einsame Strände und warmes Meerwasser sind. Während meiner Dienstzeit erhielten mir tägliche Bäder im nahen See die Arbeitskraft. Diese Freude sollte mein liebster Kollege Alois einmal mit mir teilen. Er stand fröstelnd am Ufer und schimpfte: "Das ist viel zu kalt. Bald bin ich wieder in Kenia. Da kann man baden, hier nicht." Als er dann in Kenia im Urlaub war, raffte ihn der Stich einer Malaria-Mücke in drei Tagen weg. Die Überführung seiner sterblichen Überreste kostete die Witwe weit mehr, als er für sein Rückflug-Ticket gezahlt hatte. |
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Constanza gewinnt wie eine Maschine für Rumänien Geld: Hafen und Tourismus bieten die Basis. Noch sind viele alte
Schätze der Stadt
verfallen. Noch hat keiner das mit Brettern vernagelte Casino gekauft, um
darin eine neue
Spielhölle zu eröffnen. Erstmal erobern sich bildungsbeflissene,
deutsche,
geführte Reisegruppen die Schönheiten der Stadt. Die Schattenseite sieht
der Wanderer wenige Straßen weiter.
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Das Leben am Strand ist luxuriös, laut und teuer. Der überfüllte Zeltplatz am Strand kostet mit Strom etwa acht Euro pro Person und Tag. Das Dröhnen der Disco trägt der Wind weit durch die Nacht. Die schlanke, junge Italienerin tanzt trunken, sinnlich geschmeidig auf dem Dach des Wohnmobils. Ihr Papa liegt auf dem Sofa darunter und liest ruhig. |
Constanza: Römer wie Rumänen träumen wohl vom vergangenen Weltreich. |
Constanza Mamaia: 50 Meter über den Strand schwebt eine Seilbahn. Eine zweite in Europa gibt es nur noch in Barcelona.
Die Grenze zu Bulgarien passieren wir innerhalb von zwei Minuten.
Auf großen Straßen kämen wir schneller weiter. Doch wie auch daheim sieht
der Reisende mehr vom Land, der von München nach Hamburg
auf Landstraßen fährt. Und so nutzen auch wir fast nur Landstraßen und passieren Dörfer, in denen
sich mittags mehr Esel, Pferde und Hunde herumtreiben
als Menschen. Die Dörfer sind weit ärmlicher als in Rumänien,
manche Gebäude sind verfallen. Weit weniger Plastik-, Dosen- und Papiermüll
als in Rumänien verschmutzen
die Straßen. Meine Vermutung: Die Menschen können weit weniger kaufen
und konsumieren. Die Felder weiten sich nicht mehr ins Endlose wie in
Rumänien, deren verfallene Bewässerungsanlagen den Größenwahn von Ceausescau
dokumentieren. Der Tyrann träumte von riesigen landwirtschaftlichen und
industriellen Kombinaten, um für sich und seine Mordsgesellen aus Mensch und Natur Profit zu pressen. Nach der bulgarischen Grenze auf unserem Weg nach Dobritsch begrenzen Hecken und Wälder überschaubare Felder. Wir kaufen an einer größeren Tankstelle für sechs Euro pro Auto eine Vignette für sieben Tage. Geld können wir keines wechseln, auch finden wir keinen Bankautomaten, um Geld zu melken. Klaus umfährt auch die erste kleine Stadt Dobritsch in Bulgarien, um auf kleinen Wegen das Land gründlicher zu erforschen. Wir bewundern die Landschaft und stolpern mit etwa 40 km/h über holprige Dorfstraßen. Meine Frau nimmt mir die Arbeit hinter dem Steuer ab. Wenn wir gerade geschickt ein halb Meter tiefes Schlagloch umrunden, so kann ein in die Fahrbahn ragender Ast das teure Plastikgefährt kratzen. Klaus freut sich über jeden Kilometer, den er Adrenalin und Testosteron geladen gewinnt. Klaus genießt sichtlich stolz sein Privileg, mit röhrend rumpelndem Allrad-LKW durch sonnendurchglühte verschlafene Dörfer zu donnern. Viele Menschen blicken seiner 3,20 hohen "Blauen Wunde" bewundernd hinterher. Mein schweißnasses Hemd verklebt meinen Rücken mit dem Sitz. Draußen wie drinnen steigt die Temperatur auf über 30 Grad. Nur wenige Kilometer verfliegen leichter auf einer Autobahn von der nahen Küste ins Landesinnere, bevor wir wieder auf Dorfstraßen Richtung Provadija wechseln. Nach unserem üblichen Fahrpensum von etwa vier, fünf Stunden gelangen wir an eine Oase: ein Stausee. Der Bulgarien-Führer preist dort eine Sehenwürdigkeit namens "Tschudnite Skati" an. Doch zu diesem Druckwerk wie dem Großen Shell-Atlas später mehr. Am sonnigen See stören nur drei Sportboot-Kapitäne die Sonntagsruhe, hinter deren schweren SUVs die Slipwagen im Wasser stehen. Abends laden sie ihre Motorboote wieder auf und ziehen mit ihrer teuren Gespannen wieder ab. Dann herrscht idyllische Ruhe. Grillen singen uns in die Nacht. Das Mondlicht spiegelt sich im kräuselnden Wasser. Wir ruhen einen ganzen Tag. Bulgarische Ausflügler bauen anderntags ihre Zelte ab. Mima geht mit Klaus und Gisi ins Dorf. Sie kauft Eier, Kekse, Margarine, Jogurth, Oliven, Käse und Brot. Sie zahlt mit 20 Euro und bekommt sieben Leva zurück - etwa 3,50 Euro. Die Verkäuferin signalisiert ihr, dass ihre Waren fünf Euro gekostet haben und ihr Wechselgeld in Bulgarischen Leva stimme. Mimas Bitte an unsere Freunde, ihr beim Zahlen zu helfen, weil sie ihre Brille vergessen habe, findet kein Gehör. Nach dem Essen will Gisi in der Mittagshitze schon aufbrechen. Sie bleiben zwar, doch wir fühlen die Zeit nahe, ohne die Beiden zu reisen. Nach dem Essen stochert ein Storch vor uns nach seinem Frosch zu Mittag. Schlank, schnell und schwerelos startet und landet der Langstreckenflieger. Am Ufer und im See stört der Plastikmüll weniger als die zahlreichen Scherben. Nachdem trotz aller Vorsicht Scherben meinen Fuß blutig aufschneiden, gehen wir nur noch mit Badeschuhen ins warme Wasser. Neben spitzen Steinen und scharfen Scherben wabern im schlammigen Uferwasser auch Lumpen um einen alten Reifen. Abends treibt ein Hirte seine Schweine ans Ufer. Grunzend säuft das Borstenvieh und suhlt sich genüsslich im Schlamm. Schwer schleppt sich mein Körper durch die Hitze des Tages. Wolken und Wind erfrischen am Nachmittag. Unaufhaltsam steigt die Temperatur im Wagen auf 34 Grad. In der Mondnacht ab 2.00 Uhr jagen wir Mücken im Wagen. Die erschlagenen Sauger hinterlassen blutige Spuren auf dem samtweichen Wandstoff. Morgens kühlt es endlich auf 19 Grad ab. Nach dem ersten, einsamen Morgenbad genießt mein Körper sein leichtes Frösteln. Klaus fährt mit einer Kondition, welche mir mein Beruf in mehr als 20 Jahren in stundenlanger Arbeit am Computer antrainierte. Im Sommer hielt sich mein Körper bei Wind und Wetter mit Bädern im nahen Weiher fit. Dieser Sommer ist anders: Unsere Fahrzeuge wie unsere Reiselust sind überaus unterschiedlich: Klaus jagt seinen schweren Allrad-Daimler-LKW mit etwa einem halben Meter Bodenfreiheit am liebsten über Pisten. Gegen dessen riesige Räder 385/65 R 22.5 fährt mein heckgetriebener VW auf 235/65 R 16-Rädern gleichsam wie ein Motorroller gegen eine African Twin. Auf Feldwegen kratzt schon kurzes Gestrüpp unter meinem Fahrzeug. Von Constanza aus erscheint mir die Strecke bis nach Dubrovnik über den bulgarischen Grenzort Goce Delcev nach Griechenland und dann über Albanien, Montenegro, Bosnien Herzegowina nach Kroatien endlos weit. Denn dieser Weg berechnet sich auf etwa 1760 Kilometer. Abseits der Hauptstraßen fällt unsere Durchschnittsgeschwindigkeit unter 50 km/h. Schlaglochpisten zwingen uns oftmals in den zweiten Gang. Bei einer Fahrzeit von vier bis fünf Stunden schaffen wir den Weg vielleicht in 10 Tagen, wenn wir uns nach dem Motto von Klaus richten: "Reisen sind keine Erholung." |
Die Grenze passieren wir in zwei Minuten. Die Vignette kostet sechs Euro.
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Personenzug in Bulgarien an einem schier endlosen Sonnenblumenfeld
Nach 20 Jahren, acht Monaten und 12 Tagen als angestellter Redakteur sehnt sich mein Organismus einmal nach weniger Stress, Spannung und Schweiß. Also bekommt meine liebe Frau am Montag morgen mit Beginn der vierten Reisewoche schon in unserem Rhythmus ab 6.00 Uhr früh ihren Morgenkaffee. Spätestens ab 8.00 Uhr nach einem erfrischenden letzten Seebad rollen wir weiter. Wir suchen ohne Gisi und Klaus allein unseren Weg. Das Medion-Navi versagt in Bulgarien auf kleinen Straßen. Shell-Atlas und Bulgarien-Führer zeigen in dem zu Griechenland grenznahen Ort Kardschali einen See. Mein Bulgarien-Führer weist dort sogar das Symbol für einen Zeltplatz aus. Beim Tanken kaufen wir uns einen Straßenatlas von Bulgarien. Die großen Ort schreiben Atlas wie Straßenschilder in lateinischen Buchstaben. Doch wir fahren durch so kleine Orte, welche Straßenschilder und Atlas nur kyrillisch benennen. Vor solchen Schildern müssen wir halten. Wie ein Analphabet muss ich mühsam versuchen, zwischen Karten- und Schildernamen identische Zeichenketten aufzuspüren. Irgendwann sehen wir einen Baumarkt der Art, wie wir sie von Deutschland kennen. Wir fahren den Markt an, weil wir unser Bett mit einem weiteren Netz vor Moskitos schützen wollen. Ein englisch sprechender Verkäufer zeigt uns die gesucht Ware. Das Netz mit Befestigungsmaterial ist von Tesa/Hamburg. Die Holzstange, an der das Netz hängen soll, stammt aus Österreich. Mit diesem Material aufgerüstet geht die Reise weiter nach Kardschali. Es scheinen zahlreiche Schreibweisen für gleiche Orte zu gelten. So schreibt mein bulgarischer Straßen-Atlas unseren Zielort "Kardzhali"; den wir nachmittags erreichen. Den See gibt es noch, den Zeltplatz wohl weniger. Der See trocknet vor sich hin. Einen Schlafplatz finden wir auf dem Gelände einer verrottenden Zementfabrik. An der Schranke lässt uns ein Sicherheitsmann durch, der uns mit Gesten deutet, dass wir dort Schlafen dürfen. |
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Dimitrovgrad |
Antikes Straßenschild |
Billa-Superstore und Denkmal in Kardzhali |
Früh am Morgen mühen wir uns von Kardzahli zum 690 Meter hohen Makaza Pass hoch. Meine Hoffnung in wenigen Stunden 80 Kilometer
weiter in Griechenland am Meer zu ruhen, erweisen sich als
falsch. Reiseführer und Shell-Atlas führen die Passstraße zwar nach
Griechenland weiter. Auf der Passhöhe stehen Polizisten. Wir wähnen uns
an der Grenze. Doch die Beamten machen uns klar, dass es am Makaza Pass
keine Grenze zu Griechenland gibt. Also müssen wir uns 50
Kilometer weiter durch ein Gewirr von schattigen, schönen Bergstraßen nach Zlatograd kämpfen. Wir überholen Eselkarren, lassen Ziegenherden passieren,
bremsen für eine Schildkröte. Dies Tier überquert ebenso verkehrswidrig
wie wir beim Überholen des Eselkarrens die durchgezogene weiße Linie.
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Auch wir überholen verkehrwidrig diesen Eselkarren auf der Gebirgstraße, weil wir die durchgezogene Linie überfahren. |
Nach drei Nächten in Bulgarien passieren wir
dann doch noch frohgemut die Grenze nach Griechenland. Der Grenzer warnt uns noch vor
einer sehr schlechten Straße, die dann zwar eng, kurvig und steil doch
überraschend glatt ist. In Griechenland sind 45 Kilometer selbst auf
Bergstraßen nach Xanthi und weiter nach Avdira leichter zu bewältigen
als in Bulgarien. Nach bulgarischen Dorfdurchfahrten martert meinen Magen eine
Allergie gegen Schlaglöcher. Wörter wie "Schlagloch, Schlaglochpiste"
signalisieren Leidenslust für Meister Mechaniker Allrad angetriebener musealer
Mercedes-Monstrositäten. Also suchen spezialisierte Schrauber mit sado-masochistischen
Sehnsucht nach Schlagloch-Strecken. Makabres Motto: "Wo
keiner fährt, wird mein Weg wunderbar." Immerhin investieren
die Griechen mehr Geld für teures Pflaster als die Bulgaren. Straßen mit Schlaglöchern
asphaltiert ebenes Pflaster wie verwundete Haut. Nach etlichen mit Minaretten geschmückten Bergdörfern erreichen wir Xanthi, kurze Zeit später Avdira. Hinter Avdira schimmert das Meer. Wir fahren langsam die Küste entlang und finden einen traumhaften Platz über dem Strand. Bald darauf wäscht uns nach einem harten Fahrtag von etwa 180 Kilometern warmes, welliges Meerwasser frei von Stress, Schweiß und Strapazen. Abends teilen wir den Strand mit jungen Leuten, welche sich noch lang in der Nacht von Techno-Musik bedröhnen und berauschen lassen. Den Strom dazu liefert ihnen ein Aggregat, welches sie zu ihrer Strandpartie ebenso mitgebracht haben, wie die morgens um ihr Lager verstreuten Bierflaschen. Wir sind genug gerädert vom Reisen und brauchen Ruhe, Sonne, Sand, Meer und Wind. Zur Nacht kämpfen wir jetzt noch mit der Hitze und den Moskitos. Hypnotisiert vom Licht emittierendem Display landen die Blutsauger auf dem Bildschirm, wo sie meine Finger zwischen Buchstaben und Bildern zerquetschen. Wir bleiben an diesem paradiesischen Platz am rauschenden Meer vier Tage und Nächte, bis sich die Hitze legt, oder sich mein Körper besser daran gewöhnt hat. Als nächster Nachbar trudelt am Abend ein junges Paar ein. Sie haben in London einen 20 Jahre alten Hymer gekauft, der sie nun schon 13.000 Kilometer kreuz und quer durch die Länder schaukelt. Er ist aus Australien, sie Französin, und weiter fahren sie nach Istanbul. Als weit wichtigeres Ziel geben Sie aus, pünktlich zur Eröffnung des Oktoberfestes Mitte September München zu erreichen. Für mich ist daran gar nicht zu denken, weil mich sonst der Durst nach meinem himmlisch heimischen Haus-Gebräu, Lambsdörfer alkoholfreies Bier, überwältigt. Die letzte Dose Clausthaler aus dem Billa-Markt in Kardzhali/Bulgarien hatte ihr Ablaufdatum schon um einen Monat überschritten, den Preis jedoch gehalten. Wasser zwar warm, aber salzig, Strand zwar heiß, aber sandig mit Stacheldornen und Sandflöhen, Sonne zwar ständig, aber stechend, Moskitonetze vor allen Luken, doch Blutsauger dennoch im Wagen, ruhige Nacht, doch ständig rauscht das Meer und ziepen die Grillen. |
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Der Strand bei
Avdira schenkt uns diesen Platz an der Sonne und am Meer - vier Nächte lang.
Genug gerädert vom Reisen: Erholung in Avdira-Beach. Leider liefert uns der
Hydrant vor dem Rad kein Trinkwasser.
Die Seele baumelt wie Wäsche im Sommer-Sonnen-Meeres-Wind. Die Welt
überladener Gedanken beruhigt sich langsam, um Raum zu lassen für
weitere Welten überladener Gedanken: Die Satire von Umberto Eco
unterhält mich in bald 1000 Seiten "Faucoltsche Pendel", wenn
meinem Körper schon der kurze Weg zum Wasser zu weit wird. Besser noch
bewährt sich das Buch als Nackenstütze beim Dösen im Klappsessel. Nach
Reiseführern von Rumänien, Bulgarien frischt das Buch über Griechenland
Erinnerungen aus den Kinderjahren und der Schulzeit auf: "Sagen des klassichen Altertums."
Die Rasselbande griechischer Götter und Helden mitsamt den
prominenten Philosophen und Power-Politikern des Abendlands erinnert an
Gestalten wie Zeus, Helena, Tantalos, Diogenes, Sokrates, Platon,
Alexander, den Erz-Eitlen, Poseidon, Onassis. In der Mikro-Nahaufnahme
um meine Füße müht sich eine Ameise, einen Melonenkern zu
schleppen. Der Kern ist größer als das Insekt, das mühsam ihre Beute
über Grashalme bugsiert. Wir erbeuten unsere Lebensmittel beim Händler
hinter dem Hafen. Der Drahtesel hilft, ein Gebinde aus sechs
Plastikflaschen, neun Liter Wasser, Brot, Schafkäse, Oliven und
Tomaten anzuschleppen. Der Händler im Auto fährt uns seine dicke,
grüne Wassermelone und Zwiebeln bis vor die Autotür. Meine drei Reiseführer beginnen mit einer geschichtlich-politischen Vorschau. Über Jahrhunderte, ja Jahrtausende reihen sich Schlachten, Kriege, Gemetzel. Wenn die Kultur zur Blüte reift, dann das Kriegshandwerk, die Kriegskunst. Beutezüge in alle Richtungen zu allen Zeiten. Die ganze Geschichte ein einzig Gemetzel. Im Norden, Süden, Osten wie Westen. Nach den Römern erobern die Osmanen das Land. Wer herrschte, hatte Sklaven. Was er denn könne, wurde Diogenes gefragt, für den sich ein Käufer auf dem Sklavenmarkt interessierte. "Ich bin Herr meiner Selbst", soll Diogenes geantwortet haben. Damit ist das Ziel der Reise, jeder Reise, gesagt. Nach vier Ruhetagen in Avdira treibt es uns nach Kavala. In Avdira standen wir vier Tage lang frei, wechselten Wasser aus einem Brunnen am Strand. In Kavala buchen wir die Nacht für 22,50 Euro auf einem schattigen Campingplatz. Disko, Schwimmbad sind wie ein Rummelplatz angeschlossen. Kavala bietet den Hafen und ein Wasseräquadukt, Werk der osmanischen Burgbesitzer. Wir brauchen die Stadt, weil die Motorhaube sich nicht mehr öffnen lässt. Morgen soll eine nahe VW-Werkstatt helfen. Der Wechsel von Land zu Stadt fasziniert und belebt aber auch. |
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Sonnenaufgang in Avdira von unserem Auto aus gesehen
Kavala - Sonntag morgen
Kavala - Wasservorsorgung der Osmanischen Besatzer |
Kavala - Camping mit Schatten und Disko |
Kavala Camping mit Live-Musik am Pool vor dem Meer
Montag morgen machen wir uns auf den Weg zu einer VW-Vertretung. Diese liegt in Amisiana, etwa 15 Kilometer von Kavala entfernt, in den Bergen. Einer der üblichen geleckten Service-Berater im VW-Verkaufsraum mit den neuesten Hochglanz-Schlitten bringt mich zur Weißglut. "Das können wir nicht auf die Schnelle machen. Vielleicht müssen wir den Mechanismus aufschneiden, dann die Teile nachbestellen. Von unten ist der Verschluss nicht zu erreichen. Warum wollen sie die Haube denn überhaupt öffnen? Ist der Motor nicht in Ordnung?" Bei seiner letzten Frage blitzen Dollar-&-Euro-Symbole in seinen Augen und hörbar fließt sein Geifer im Maul zusammen, weil er sich lukrative Reparatur-Aufträge erhofft. Tief atmend zwinge ich mich zur Ruhe: "Wir müssen den Öl- und Wasserstand kontrollieren." Der seibernde Service-Schuft schluckt und vertröstet uns auf die Mittagszeit. Erst dann habe er einen freien Mechaniker. Und schließt an: "Haben Sie denn schon eine Unterkunft hier? Das kann nämlich länger dauern." Bevor mir schlecht wird, fliehen wir den Ort des Schreckens und versuchen es bei einer Skoda-Werkstatt - 200 Meter weiter. Ein freundlichen Mechaniker kniet sich vor unseren VW-Crafter, den er vermutlich noch nie auf seinem Hof hatte. Er fühlt die Schrauben des Schließmechanismus. Er holt den passenden 10er Ringschlüssel. Er löst geschickt die erste Schraube, mit Gefühl und ohne Sicht, dann die zweite. Er wackelt am Schließmechanismus. Die Motorhaube öffnet sich. Wir klatschen Beifall. Er baut die Führung des Seilzugs aus. Er biegt die Führung gerade, ölt den Seilzug und fettet den Verschluss. Er verlangt 15 Euro, wir geben gerne 20. Er zeigt uns stolz die VW-Pritsche, Baujahr 1963, die er für den griechischen Gebrauch renoviert. Dankbar fahren wir weiter und wieder ans Meer. Die Nerven müssen sich wieder in Ruhe entspannen. |
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Wir reisen jetzt aber schon erheblich entspannter und geruhsamer als zuvor, als wir Ruß-Flocken schnaufend hinter dem monströs-martialischen-musealen-Mercedes-Monster hechelten.. Zum einen fühlen wir uns nicht mehr wie vom Treiber einer Sklavenkarawane zu diesen schweißtreibenden stundenlangen Fahrtstrecken geprügelt. Zum andern fangen wir früher an, sind spätestens um 8.00 Uhr früh rasiert und gebadet im Wagen. Dafür döst mein schwitzender Speck mittags für Stunden im Schatten, wenn die Höllenglut unerträglich vom Himmel feuert. Ganz wichtig: wir gleiten in Griechenland zumeist über Straßen, die diesen Namen auch verdienen. Haben wir dann - so etwa nach 100 Kilometern - ein neues Ziel am Meer erreicht, spült uns die warme Salzlauge Staub und Schweiß aus Haaren und Haut. Wir genießen unser einfaches Abendmahl, trinken vielleicht noch ein Glas Wein und fallen glücklich in Schlaf. Wenn dann noch der Abendwind die Hitze aus der Plastiktonne durch drei geöffnete Dachluken sowie vier Fenster hinaus bläst, ohne dass Mücken per panikartigen Schließen der Aufbautür ins Innere eindringen, dann lässt sich sogar ganz gut schlafen. |
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Hinter Kavala campieren wir bei Loutra Elefteron direkt am Strand.
Auch anderntags nehmen wir uns eine überschaubare Strecke vor. Wir
nutzen die Küstenstraße, überqueren auf enger Brücke den Fluss Strimonas.
Der sieht auf der Karte größer aus, als er ist. Hinter dem Fluss
stehen wir staunend vor dem Grabdenkmal des "Löwen von Amphipolis",
der fürchterlich über uns die Zähne fletscht und voll Ingrimm uns
Grausen macht. Dereinst schmückte das Monument das Grabmal eines Admirals
von Alexander, dem Erzeitlen, so spätes "4th century BC". Dies
erklärt die Tafel zum Denkmal. Trotzdem erinnert das gewaltige Untier
irgendwie an den Löwen, der über dem Oktoberfestzelt der Löwenbrauerei
seine Maß Bier schwenkt. Wir folgen der wundervollen Küstenstraße nicht weiter in Richtung des Berges Athos mit seiner für weibliche unerreichbare und für männliche Touristen kaum erreichbare Klosterkultur, sondern biegen durch das waldige Bergland ab. In Arnea finden wir noch ursprüngliche griechische Dorf- und Wirtshauskultur, kaufen Honig und genießen die frische Luft in den Bergen.
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Löwe von Amphipolis |
In Gerakini kommen wir wieder ans Meer. Dort wollen wir nach etwa
120 Kilometern Fahrt bleiben. An der Uferstraße suchen wir nach einem
Schlafplatz am Strand. Über uns, auf der Hauptstraße, rollt der
Rundhauben-Daimler. Wir drehen spontan, fädeln uns gewagt in den
Verkehrsfluss der Hauptstraße ein und verfolgen ihn. An einer Ampelkreuzung
erspäht Mima am Kiosk den martialischen Monster-Mercedes. Wir feiern ein kurzes,
herzliches Wiedersehen, derweil die hungrigen Lastwagen-Fahrer vier mit Tomaten und Bratklops belegte
Brötchen bestellen und drei gleich verspeisen. Höflich verabschieden wir uns nach ihrer Zigarette.
Ein wenig erstaunt uns zwar, dass Klaus und Gisi ebenfalls vier Tage am Meer
ruhten. Denn zuvor hörten wir, dass Badeurlaub kein Programmpunkt ihrer
Schwerlast-Expedition gewesen sei. Immerhin machen Sie uns ihren
Standplatz in etwa 70 Kilometern Entfernung schmackhaft, zuvor gäbe es keinen. Doch
wir finden in Gerakini, etwa zwei, drei Kilometer von der Frittenbude
entfernt, einen absolut ruhigen Platz am Meer. Der Wagen spendet uns
Schatten für unsere kleinen Campingstühle, in denen sich in der Hitze
gut dösen lässt. Abends reicht Mima gekochte Paprika mit Tomaten und
Brot. Ihr Tzaiziki mit Gurken und Schafkäse schmeckt super. Gegen 23.00
Uhr ist endlich die Temperatur im Auto auf erträgliche 25 Grad Celsius
gesunken. Schlaf kann kommen.
10 Minuten nach dem Treffen mit Klaus und Gisi stehen wir an diesem Feldweg in Gerakini am Meer. |
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Bald beginnt die siebte Woche meiner Reise. Langsam gewöhnt
sich mein Körper an Staub und Schrecken der Straßen wie an die
Höllenglut. Glücklich beenden wir schon nach einer Stunde Arbeit am
Steuer den Fahrtag. Denn wir flüchten uns in eine einsame Bucht vor Toroni auf der Halbhinsel Sithonia in den Schatten eines knorrigen
Olivenbaumes. Später teilt eine junge Familie mit zwei Kindern plus Hund
mit uns die Einsamkeit. Abends beim Wein berichtet der junge
Familienvater von seiner Arbeit - jeden Tag fast 16 Stunden. Sie haben
nur drei kurze Wochen Urlaub. Der Vater reparierte Tags zuvor in ihrem
Bulli, Baujahr 89, einen porösen Kühlwasserschlauch. Nur Sterne funkeln
im nachtschwarzen Himmel. Schwarmweise tummeln sich Fische im klaren
Wasser. In mehreren Metern Tiefe sehen wir den Grund. Sonnenlicht bricht
sich im Wasser in funkelndem Zauber. Der zauberhafte Platz hat sich
das Prädikat "Mutter aller Griechischen Badebuchten" bei uns
verdient. Wieder ruhen wir vier Nächte. Ein Lehrer-Ehepaar aus Bayreuth
im selbstausgebauten VW-T4 berichtet unter dem prächtigen
Sternenzelt von zahlreichen Reisen. Sonntag morgen geht die Reise weiter. Der Grund meiner dauernden Kopfweh ist nun klar: Kaffeeentzug. Der Schnellkaffee mit der Aufschrift "Decafe" brachte mich nicht in Schwung. Thessaloniki lassen wir, obgleich dort Weltkulturerbe Bauten zu bewundern wären, liegen. Die zweitgrößte griechische Stadt strengt uns mehr an, als wir vertragen. Wir umfahren Thessaloniki auf dem Autobahnring. Unser Ziel Edessa erreichen wir gegen Mittag. |
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Gegenüber dem Hotel Katarraktes finden wir einen schattigen Platz
unter Bäumen. Neben der Aufbautür sprudelt der Gebirgsbach Richtung
Wasserfall. Schatten und der rauschende Bach kühlen das Fahrzeug schon
um 21.00 Uhr auf 26 Grad ab. Wir füllen unsere Wasservorräte mit klarem,
kühlen Wasser aus einem öffentlichen Hahn im Park. Am Meer zapften wir
eine grüne Brühe, die wir gleich wegschütten mussten. Zudem gewährt die
Fremdeninformation in Edessa einen WiFi-Zugang, von dem die Daten heute abend ins
Netz gehen. Morgen ist eine Bergstrecke über kleine Straßen in Richtung
Albanien geplant. Mit der Rückfahrt über Albanien, Makedonien, Serbien, Ungarn und Österreich beginnt dann das fünfte Kapitel dieses Berichts. Und weil meine liebe Frau Stephanie, auch Mima oder Mimamai, mit mir ja Hochzeitreise feiert, soll diesen Teil des Berichts mit dem Bild einer Hochzeit in Edessa enden.
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Historische Hanffabrik Edessa mit 120 Meter langer Fabrikhalle |